Die drei vom Bahnübergang

Wie einen Schnellzug wollen Stoiber, Merkel und Merz den Flutopferplan der Regierung passieren lassen – zur Freude von Lokführer Schröder

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Aufs Schimpfen versteht sich Edmund Stoiber. Und so wetterte und wetterte er gestern gegen den Vorschlag der Bundesregierung, zur Finanzierung der Hochwasserkosten die Steuerreform um ein Jahr zu verschieben. „Rot-Grüne Steuererhöhungen!“ „Gift für die Konjunktur!“ „Es bremst Aufschwung und Wachstum!“ Ein wenig seltsam war dieser Auftritt mit Angela Merkel im Berliner Konrad-Adenauer-Haus schon. Immerhin erklärte der Kanzlerkandidat und bayerische Ministerpräsident im selben Atemzug, dass die Union mithelfen wird, den Bürgern eben dieses Gift zu verabreichen. „Wir brauchen diesen nationalen Kraftakt, wir wollen darüber keinen Streit mit der Bundesregierung“, sagte Stoiber und trieb den Widerspruch auf die Spitze: „Wir wollen den falschen Weg nicht blockieren.“

Dialektik galt lange Zeit als eine Spezialität der Linken – und der gesunde Menschenverstand tat sich oft schwer, nachzuvollziehen, warum manchmal das Gegenteil des Richtigen trotzdem nicht falsch sein sollte. Am gestrigen Tag hatte die Dialektik zur Abwechslung das bürgerliche Lager fest in den Klauen. Prompt mussten sich Stoiber, Merkel und Unionsfraktionschef Friedrich Merz in abenteuerlichen argumentativen Verrenkungen üben: die Kanzlerkandidaten-Truppe als K-Gruppe.

Obwohl die Opposition der Regierung zur Mehrheit verhilft, bietet sie einen eigenen Flutopferplan auf. Der Plan soll vor allem eines retten: die innere Logik des CDU-Wahlprogramms. Weil sich die Union dort als Partei der Steuersenker profilieren will, lehnt sie Schröders Verschiebung der Steuerreform ab. Stoiber und Co. sehen darin eine verdeckte Steuererhöhung, da die Bürger im kommenden Jahr zugunsten der Flutopfer auf die ursprünglich versprochene rot-grüne Steuersenkung verzichten müssen. Geht es nach der Union, soll der Bund statt dessen auf 7,7 Milliarden Euro aus den Gewinnen der Bundesbank zurückgreifen. Ersetzt die Union damit nicht eine Steuererhöhung durch eine höhere Neuverschuldung?, wird Stoiber in der Pressekonferenz gefragt. „Das ist richtig“, sagt der Kandidat zunächst. Dann besinnt er sich: „Oder ich will es anders formulieren …“

Ehe die Union nicht regiert, bleibt der Plan Kosmetik für die Programmatik. In Bundestag und Bundesrat wird die Opposition der Koalition zur nötigen Mehrheit verhelfen. Damit bleibt der Union zunächst nur, den Widerspruch zwischen Ablehnung im Herzen und Zustimmung im Parlament zu kaschieren.

Der Kandidat versuchte es als Erstes mit starker Rhetorik. „Die Hochwasseropfer brauchen das klare Signal der politischen Parteien“, rief er: „Wir lassen euch nicht im Stich!“ Friedrich Merz mühte sich um Gesichtswahrung: In der Sondersitzung des Bundestages am kommenden Donnerstag wird die Union zunächst für ihr eigenes Programm stimmen. Nach der erwarteten Niederlage werde die Fraktion sich enthalten und so der rot-grünen Koalition die Verabschiedung ihrer Vorschläge ermöglichen. Die Wortwahl ist Programm: Sorgfältig vermeidet das Führungstrio die Vokabel von der „Zustimmung“ zu Gerhard Schröders Konzept. Stattdessen spielen Stoiber, Merkel und Merz die drei vom Bahnübergang: Man wolle sich nicht „quer stellen“, sagen sie, und die Initiative der Regierung „passieren lassen“.

Zumindest der bayerische Ministerpräsident Stoiber wird um ein Ja nicht herumkommen – im Bundesrat zählen Enthaltungen wie Neinstimmen. Will der Kanzlerkandidat also Wort halten und Schröders Vorhaben nicht stoppen, muss er in der Länderkammer zustimmen. Offen ist noch, ob er persönlich erscheint oder einem seiner Minister das schwierige Votum zumutet. Der Unionsredner für die Plenardebatte im Bundestag steht jedoch schon fest: „Ja, ich“, sagte Stoiber.

Er hat keine leichte Aufgabe vor sich, schließlich hat die Unionsführung gestern eine weitere Volte vollzogen. Tagelang hatte sie Rot-Grün vorgeworfen, die Verschiebung der Steuerreform sei „sozial unausgewogen“ und sie müsse wenigstens sozial abgefedert werden. „5,6 Milliarden Euro sind alleine von den Lohnsteuerzahlern zu bezahlen, das ist eine eindeutige soziale Schieflage“, wiederholte Stoiber gestern. Trotzdem ist jetzt keine Rede mehr von der Körperschaftssteuer. „Die soziale Symmetrie zu verbessern, das ist eine Frage der großen Steuerreform“ 2004, heißt es von Stoiber nun. Kanzler Schröder reagierte wie zum Hohn: Die Bundesregierung werde das Angebot der Wirtschaft, den Körperschaftssteuersatz für ein Jahr auf 26,5 Prozent zu erhöhen, aufnehmen, sagte Schröder am Donnerstag in Berlin. Derzeit beträgt der Satz 25 Prozent. Das „sehr solidarische Angebot“ habe der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) selbst gemacht, sagte Schröder. Er wolle dies daher in den Gesetzgebungsprozess aufnehmen, unabhängig von der Haltung der Union.