Abschließender Kneipenbericht

Die Berliner Schnauze gibt es tatsächlich, ohne irgendwas zu wollen

von VOLKER SCHEUB

Berlin, doch, das ist schon die größte Bundeshauptstadt aller Zeiten. Du kannst von einem Doppeldecker aus alles besichtigen, dieses ganze größenwahnsinnige, unheimliche Gebaue und Nieder- und Hergemache und Geldvervespere, und so eine Frau am Mikro kommentiert das ganz trocken, irgendwie belustigt; die Berliner Schnauze gibt es tatsächlich, ohne irgendwas zu wollen.

Bloß das letzte Wort haben oder nicht mal das, ein Hintertürchen, wenn die ganze Anstrengung der Sanierung anheimfällt wie der Palast der Republik und alles kostet noch mal zweimal oder dreimal so viel, obwohl, das war ja ein volkseigener Betrieb damals, und heute ist das Geld einfach da und eine verächtliche Beiläufigkeit, auf meine Kosten, also mit unseren Steuergeldern Distanz zu uns herzustellen, so eine coole abgehobene Weltläufigkeit, hinter der du nichts als banal, trivial und unwichtig zurückbleiben kannst.

Das Ärgerliche ist dabei nicht, dass sie dich einschüchtern wollen mit ihrer Arroganz, sondern dass es ihnen gelingt. Und dann gibt es aber noch so Ostberliner am Brenzlauer Berg, die nehmen noch so richtig ernst und wollen was und hausen dazu in mehr oder weniger Ruinen nach unseren Maßstäben, das ist ganz erfrischend für uns Wessis. Und dann, dass eben immer was passiert und du die ganze Zeit etwas versäumst, architektonisch und kulturell. Oder da stand ich vor diesem neuen Jüdischen Museum und habe mir den Hals verrenkt und die Lust verloren hineinzugehen.

Da weiß ich nicht mal, ob es absichtlich das menschliche Maß übersteigt, wie eigentlich Berlin insgesamt; ich meine, so wie die Grünen oder die taz, so möchte diese Stadt insgesamt vergessen oder vergessen machen wo sie herkommt, sich in diesem neuen Jahrtausend quasi neu synthetisieren. Jo, klar verbleichen überall Graffiti und demonstrieren Ost-Fassaden ihre Hässlichkeit und Verachtung, oder kleinliche Proteste gegen die Sparpolitik von diesem Senat, der natürlich für die Bedürfnisse der Realberliner noch weniger übrig hat als für Besucher. Also an den wichtigen Stellen Metropose: die Geschichte wird aufgepoppt und hochglanzversiegelt und ein Block weiter niedergemacht mit einer wütigen Energie, da können die alliierten Bombergeschwader einpacken, und noch ein Block weiter reicht das Geld zu gar nichts mehr, da bröseln irgendwelche 70er-Jahre vor sich hin. Jo, klar ist das widersprüchlich, die brauchen uns nicht, die sind Welt für sich. Und für uns? Na bei der Gründung vom Deutschen Reich, 100 Jahre und ein paar zerquetschte ist das erst her, da war wichtig und schlimm, dass Berlin die deutsche Hauptstadt wurde. Der Dorfpfarrer unter dem Hohenzollern hat das damals so ausgedrückt, dass wir erstens eine große Freude haben, preußisch geworden zu sein, und es zweitens um unserer Sünden willen nicht besser verdient haben.

Aber heutzutage ist die Ehrfurcht und Abscheu vor dem Saupreiß auch nicht mehr das, ok, dass wir stolz darauf seien, alles außer Hochdeutsch zu können, wird einem Berliner eher unglaubwürdig, sondern egal sein, Hauptsache, er findet hier einen gescheiten Arbeitsplatz. Dem Adenauer war von vornerein klar, dass er gegen den gesamten Bismarck, Kaiserwilhelm, Ebert, Hitler nicht anstinken kann mit seinem Bonn, und dafür hat er es doch erstaunlich lange durchgehalten, echt fast so lang, und dabei war seine ganze verkorkste Regierungsarchitektur offiziell Provisorium. Selbige Hohenzollerngemeinde hat vor zehn Jahren dann lieber die Leichen der alten Preußenkönige rausgerückt, als Bundeshauptstadt zu werden.

Es ist eh viel zu eng hier. Hier muss man nach Berlin, aber nicht umgekehrt, weil hier verstehen sie dich alle immer allzu gut, aber das ist ein anderes Thema. Und in Berlin windet es immer, da herrscht kein anderer, aber immerhin Wind. Auch wenn manche glauben, das sei der Zug der Zeit, aber ob das Berliner sind, wo das glauben, glaub ich nicht. Aber dazu soll sich gefälligst jemand aus München oder Hamburg oder meinetwegen aus Köln dazu äußern. Also nicht nur Zanzibar duftet ja, auch hauptstädtische Namen wie Rom oder Paris haben so was. Berlin begnügt sich damit, hinter einer sterilen Mitte ein bisschen zu riechen, nach Emil und die Detektive, Kohleheizung immer noch und dem türkischen Obstlädele, SPD und dem elektronischen Knistern von Sony. Nach hybrider Provinzialität. Ich erkenn mich doch glatt selber wieder in meinem Dagegenseinmüssen.

Der gebürtige Tübinger Volker Scheub, Jahrgang 1948, ist leidenschaftlicher Tübinger und Werbegrafiker.