Einparteienstaat befürchtet

Aserbaidschan stimmt heute über Verfassungsänderungen ab, die in den Augen seiner Gegner Präsident Aliev stärken. Opposition hofft auf Verfehlen der Mindestbeteiligung

BERLIN taz ■ Die Opposition in der Kaukasusrepublik Aserbaidschan fordert den Rücktritt von Präsident Heidar Aliev und einen Boykott des heutigen Volksentscheids. 4,8 Millionen Wahlberechtigte sind aufgerufen, über ein Paket von Verfassungsänderungen abzustimmen. So sollen künftig alle 125 Parlamentssitze, von denen bislang 25 auf Parteilisten entfielen, über das Mehrheitswahlsystem verteilt werden. Die Vertretung des Präsidenten im Falle seiner Verhinderung soll künftig statt des Parlamentspräsidenten der vom Staatschef ernannte Premierminister übernehmen. Zudem soll eine einfache Mehrheit statt einer Zweidrittelmehrheit der Parlamentsabgeordneten für die Wahl des Präsidenten ausreichen.

Beim Referendum entscheiden die Wähler auch über die Einführung eines Ersatzdienstes als Alternative zum Wehrdienst, die Institution eines Ombudsmannes sowie die Möglichkeit, per Verfassungsbeschwerde Grundrechte vor dem Verfassungsgericht einzuklagen. Ursprünglich hatte die Regierung mit einer Frage über alle 39 Änderungen abstimmen lassen wollen. Nun darf das Wahlvolk nach kompetenter Bündelung der Themen achtmal sein Kreuz bei Ja oder Nein machen.

Alievs Gegner, die auf eine Verschiebung des Referendums gedrungen hatten, sind alarmiert. Mit der Abschaffung des Verhältniswahlsystems würden missliebige Parteien ins Aus manövriert, vermutet Arif Hadijev von der oppositionellen Musavat-Partei. Damit sei der Weg zum Einparteienstaat vorgezeichnet. Schon wächst die Furcht, Aliev könnte wie einst Russlands Präsident Boris Jelzin in Ruhe seinen Nachfolger aussuchen. Mit ihrem Boykottaufruf will die Opposition die Wahlbeteiligung unter die benötigte 50-Prozent-Marke drücken. Die Regierung feuert aus allen Rohren zurück. So werden landesweit Blinde, junge Leute und Gewerkschafter zu Veranstaltungen gekarrt, die für den Volksentscheid werben und dabei vom Staatsfernsehen gezeigt werden.

Doch auch andere Töne sind zu hören. Bei einem Runden Tisch, den die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zu Wochenbeginn in Baku organisiert hatte, bezichtigten Vertreter der Präsidialadministation nicht näher benannte ausländische Organisationen, die Boykottkampagne der Opposition zu finanzieren. Sollten diese versuchen, Wahlfälschnungen festzustellen, drohe ein Ermittlungsverfahren.

Ende September will der Europarat einen Zwischenbericht zu Aserbaidschan debattieren, das ihm seit 2000 angehört. Angesichts massiver Menschenrechtsverletzungen, politischer Gefangener, grassierender Armut, einer Million Flüchtlinge und des ungelösten Konfliktes um die armenische Enklave Nagorni-Karabach, wird es über das Land nicht viel Erfreuliches zu sagen geben. Dennoch rät Andreas Gross, Aserbaidschan-Berichterstatter im Europarat, zur Teilnahme am Referendum. Der aserbaidschanischen Zeitung Echo sagte er: „Ein Boykott ist kein guter Weg, um eine Demokratie zu entwickeln.“

BARBARA OERTEL