Zeitreise im Bayernzelt

Kohl auf Wahlkampftour auf dem Dom und im CCH: Wettern gegen „sozialistische Verleumdungskampagnen“, PDS, Arbeitslose – und viel Erinnern an die guten alten Zeiten. Bürgermeister Ole von Beust ersparte es sich

Von PETER AHRENS

Die Zeitreise beginnt. Die Menschen stehen Spalier, klatschen Stakkato, während er einmarschiert, wie in all den Jahren. Vorweg Peter Beil, der Mann mit der Goldenen Trompete, dahinter der Pulk der Fotografen, die Bodyguards, dann er, Hände schüttelnd. Es könnte 1989 sein oder 1982 oder 1994. Helmut Kohl hält triumphal Einzug. Und die Umgebung ist genau auf ihn zugeschnitten: Wahlkampf im Bayernzelt auf dem Hamburger Sommerdom vor Hunderten von SeniorInnen.

Links und rechts prangt bajuwarisches Sprachgut: „Do legs di niada.“ „Oans, zwoa gusuffa.“ „So jun kimma nimma zamm.“ Von jung zu sprechen, ist an diesem Nachmittag vermessen. Die Senioren-Union hat eingeladen, das Durchschnittsalter im Zelt liegt bei 70. Hier tut sich Helmut Kohl leicht, die Schlachten der Vergangenheit zu schlagen.

Wenn er eifrig an der Rote-Socken-Kampagne strickt, dann rauscht der Beifall. „Die SPD legt sich mit den Linksradikalen von der kommunistischen PDS ins Bett, für alle unübersehbar“, empört sich der, den CDU-Landeschef Dirk Fischer zuvor mit „Herr Bundeskanzler“ begrüßt hat. Die Koalition SPD-PDS in Berlin sei „eine Schande für Deutschland“, und die Sozialdemokraten von heute hätten „nichts mehr gemein mit der Partei Kurt Schumachers“. Alles im weiten Rund nickt mit dem Kopf. Ja, der alte Schuhmacher.

Zuvor hatte schon Kohls treuer Weggefährte Volker Rühe die Richtung vorgegeben, an die guten alten Zeiten erinnert, als die CDU im Bund regierte, Nachrüstung und Wiedervereinigung ins Gedächtnis gerufen, „die Liebe Helmut Kohls zu den Soldaten der Bundeswehr“ beschworen und allen Anwesenden einen „historischen Nachmittag“ gewünscht. Sogar Franz-Josef Strauß ist da. Er thront unterm Dach des Bayernzeltes im blau-weißen Himmel auf einer Wolke mit Engelsflügeln.

Aber einer fehlt. CDU-Bürgermeister Ole von Beust hat sich einen Wahlkampftermin in Mecklenburg-Vorpommern auf diesen Nachmittag legen lassen und muss so nicht im Bayernzelt schwitzen. Und damit auch nicht dem seine Aufwartung machen, den er in der Spendenaffäre so harsch und deutlich kritisiert hat. Kohl erwähnt seinen innenpolitischen Gegner denn auch mit keinem Wort.

Nur einmal lobt er „unsere politischen Freunde in Hamburg, die jetzt den Senat stellen“. Das ist aber auf Landeschef Fischer gemünzt, der Kohl auch in Affärenzeiten die Treue hielt und demonstrativ die Veranstaltung besuchte, bei der Kohl zur Hochzeit des Spendenskandals von der Handelskammer geehrt wurde.

Heute ist denn auch Fischers Inszenierung. Im CCH, wo Kohl anschließend eine zweite Wahlveranstaltung abhält, wird zum Empfang „Ein Freund, ein guter Freund gespielt“, und die Landes-CDU hat für Kohl ein Video angefertigt, in dem der „Kanzler der Einheit“ begrüßt wird. Wieder Standing Ovations.

Kohl als Spendensammler, den scheint es nie gegeben zu haben. Zwar laufen noch Mitglieder der Jungen Union mit Spendenbüchsen durch den Saal, doch gesammelt wird nur für die Flutopfer. Stattdessen spult Kohl ab, was seit Jahrzehnten vertraut im Ohr liegt. „Dies ist nicht die Stunde der Verzagtheit“, und „die alten sozialistischen Verleumdungskampagnen laufen wieder“, und „es ist wider die Natur, dass der, der nicht arbeitet, mehr verdient, als der, der arbeitet“, und „Famillje“ und „die publizistischen Helfershelfer der Sozialisten in den Medien“.

Eine halbe Stunde soll der Alt-kanzler an sich reden, doch über all die Memoiren an Bush senior, den Papst, Gorbatschow und Konrad Adenauer vergisst Kohl die Zeit. Er hätte wohl gern noch Stunden geredet, an die eigenen Leistungen mahnend.

Doch nach 45 Minuten ist Schluss, der nächste Saalmieter wartet. Noch einmal erklingt der Schneewalzer der Band „Bavaria Sound Express“. Die Leute schunkeln.