Der Sommer des Chamäleons

Der taz-Sommerroman. Über den heißesten Fall des mit unglaublich vielen Wassern gewaschenen Privatdetektivs John Player. Von Tim Ingold. Zehnter Teil.

So pervers hätte ich ihn mir nicht vorgestellt: Dr. Stefan Frank angucken

Was bisher geschah: My Rama lies over the ocean +++ My Rama lies over the sea +++ My Chamäleon is probably auf Sylt +++ John, bring back my Rama to me

„John, woher wussten Sie eigentlich, dass die Klöppelgasse sich in Westerland befindet?“ fragte Ilse mich, als wir das Strandlokal „Zum Rantumer Rüden“ verlassen hatten und an der Straße auf den Bus warteten. „Ach, das ist eine komplizierte Geschichte, in der einige Kulturredakteure und gewisse Probleme mit dem Raum/Zeit-Kontinuum vorkommen. Ich erzähle Sie Ihnen ein andermal, Ilse.“

Der Bus hielt schnaufend vor unseren Nasen und klappte unter nervigem Gepiepe seine Rollstuhl-Rampe aus. Die Klöppelgasse war eine kleine Stichstraße in einem spießigen Wohngebiet. Überall standen Schilder: „Singen verboten“, „Dealen untersagt“, „Nicht husten!“, „Warnung vor dem Hausherrn“. In dieser piefigen Gegend sollte sich also das Hauptquartier des gefürchteten Syndikats befinden. Ich bereitete mich innerlich darauf vor, einen klapprigen Rentner mit seinem Hosengürtel fesseln zu müssen. Auch am Gartenzaun des Hauses mit der Nummer 23 prangte ein Schild: „Schnüffeln verboten“. Neben der Klingel noch ein Schild: „K.-H. Meierdierks. Klingeln verboten“.

Wir taten es trotzdem. „Was wollen wir sagen?“ flüsterte Ilse mir zu. „Überlassen Sie das Reden mir“, flüsterte ich zurück. Wir hörten schlurfende Schritte. Tatsächlich öffnete uns ein klappriger Rentner. Er trug eine Butleruniform. „Sie wünschen?“, fragte er gelangweilt. „Guten Tag!“, sagte ich fröhlich. „Gewiss haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie famos es wäre, sich nie wieder die Beine rasieren zu müssen. Nun, unsere Firma hat ein Gerät entwickelt, dass diesen Traum wahr werden lässt. Haben Sie Interesse an einer kleinen Demonstration?“ Der Butler verzog keine Miene. „Warten Sie“, sagte er, schloss die Tür wieder und schlufte ins Innere des Hauses.

Nach einer kleinen Ewigkeit kam er zurück und winkte uns stumm hinein. Ilse wuchtete mich die Treppenstufen hinauf und schob mich durch den engen Flur ins Wohnzimmer. Eiche rustikal, Häkeldeckchen auf dem Marmortisch, darauf die Fernsehzeitung samt Fernbedienung, an den Wänden goldgerahmte Jagdszenen in Öl und Zinnteller mit Handwerksmotiven. Der Hort des Bösen eben. Inmitten dieses Wohndesigns des Grauens saß Meierdierks auf einem altrosafarbenen Sofa und kramte seine Brille aus der Brusttasche seiner olivgrünen Strickjacke. Wir sahen sofort, warum man ihn „Das Chamäleon“ nannte: seine Augen guckten in zwei verschiedene Richtungen, wie die von Marty Feldman. Die Farbe wechselte er allerdings nicht. Zumindest noch nicht.

„Was haben Sie anzubieten?“, fragte er unwirsch. Ich legte meine Hand auf die Zwille unter meiner Jacke. „Wie wäre es mit einigen Jahren Knast?“, sagte ich ruhig, wobei ich nicht wusste, in welches seiner Augen ich ihm dabei starren sollte. Meierdierks schnaufte belustigt. „Ich hätte auch etwas anzubieten“, sagte er mit einem hinterlistigen Funkeln in seinen krummen Glupschern. „So? Was denn?“ – „Lassen Sie uns gemeinsam ‘Dr. Stefan Frank‘ anschauen“, sagte er und griff nach der Fernbedienung. Ich muss zugeben, dass dieser Schachzug mich verwirrte. „Der Arzt, dem die Frauen vertrauen?“, fragte ich. „Ich habe sie für pervers gehalten, Meierdireks, aber so per...“ Ich konnte meinen Satz nicht beenden, weil Meierdierks auf einen Knopf der Fernbedienung drückte, woraufhin der Perserteppich unter unseren Füßen nachgab und uns durch einen tiefen Schacht in unterirdische Finsternis beförderte. So hatte ich mir das nicht vorgestellt.