Lieder, Lieder, noch mehr Lieder

„Barfuß in Bremen“: Im Haus Blomendal in Blumenthal wurde mit dem „Fest der Lieder“ die Tradition der Burg Waldeck wiederbelebt. Damals war Franz Josef Degenhardt der Held, heute fiel dessen Sohn Kai – als Einziger – durch.

Die 68-er sind treue Seelen! Das zeigte sich wieder an diesem Wochenende, als in Bremen Nord der völlig am Zeitgeist vorbeigedachte Versuch gemacht wurde, die Tradition der „Burg Waldeck“ weiterzuführen. Waldeck war so etwas wie das deutsche „Woodstock“: In der Tradition der Wandervogelbewegung und eines Walther von der Vogelweide trafen sich in den 60-er Jahren deutsche Liedermacher auf der idyllischen Burg im Hundsrück, um dort die deutsche Folkmusik aus der Wiege zu heben. Hier begann eine Kulturbewegung, aus der sich die Karrieren von Liedermachern wie Franz Josef Degenhardt, Reinhard Mey, Dieter Süverkrüp oder Hannes Wader entwickelten. 1968 wurde das Sängertreffen totdiskutiert, heute ist von den 68-ern kein einziges „Buh“ mehr zu hören.

40 Jahre später nun also das „Fest der Lieder“ in Bremen Nord. Das „Haus Blomendahl“ in Blumenthal ist ein idyllisch gelegenes Anwesen an einem Bächlein, mit viel gutem Willen kann man es also auch wie die Veranstalter als „Wasserburg“ bezeichnen. Dort fand an diesem Wochenende das „Fest der Lieder“ statt. Und es kamen erstaunlich viele, die die alten Recken und Barden wie Joana, Helmut Debus und Ulrich Roski sowie ihre jüngeren Nachfolger hören wollten. Über 300 zahlende Gäste am Freitagabend, am Samstag kamen trotz drohender Gewitterwolken nicht viel weniger, und diese schienen das schlechte Wetter, die Flucht vor dem Regen und das gedrängte Sitzen in der Notunterkunft „Rittersaal“ sogar ein wenig zu genießen.

Aber dort musste nur Joana singen, alle anderen konnten auf der Bühne im Innenhof auftreten, in einem sehr nostalgisch stimmenden Ambiente. Vereinzelt wurde sogar mitgesungen, wenn die beiden Gründerväter des Waldeck Festivals Hein & Oss Kröher alte Gassenhauer von Claire Waldorf („Alle Männer aus dem Reichstag“) oder Erich Mühsam („Der Revolutzer als Lampenputzer“) zum Besten gaben. Auch das sonst eher penetrant tranige Platt von Helmut Debus wurde freundlich beklatscht, obwohl der seit Jahren nur in einer Stimmungslage spielt, und damit sogar ein Lied über den 11. September zu Gehör brachte.

Das Fest der Lieder war ein ganz spezielles Programm für ein ganz spezielles Publikum, und das war offensichtlich dankbar dafür, etwa die aufrechte Sängerin Joana noch einmal live erleben zu dürfen, die von den vielen frauenbewegten Frauen im Publikum großen Beifall für ein „Seefrauenlied“ oder ihre Abschiedshymne an Marlene Dietrich erhielt.

„Stellen Sie sich bitte vor, wir schreiben das Jahr 1845“, dieser Einführungssatz der Gruppe „Grenzgänger“ klang hier ganz natürlich, fast schien er (mit austauschbaren Jahreszahlen) das Motto des Festivals zu sein. Die Bremer Gruppe spielte eine Programm mit Bearbeitungen von Gedichten von Hoffman von Fallersleben – musikalisch vielleicht der reizvollste und überzeugenste Auftritt.

Ein anderer Set war so wohl nur in diesem Rahmen, „unter alten Freunden“, möglich: Ulrich Roski, ein „Blödelbarde“ der 70-er Jahre, kann nach einer Zungenkrebserkrankung nicht mehr singen. Selbst wenn er spricht, kann man ihn nur schwer verstehen, und trotzdem trat er auf diesem Festival auf, und zwar mit großem Erfolg. Das lässt sich nur durch die Treue des Publikums erklären, die ihn aus besseren Zeiten kennen, und bei denen sein makaberer Humor, mit dem er zum Beispiel einen Text über seine Erfahrungen im Krankenhaus vorlas, gut ankam. Zudem war Roski so klug, sich von dem Münchener Trio „Unsere Lieblinge“ auf Kontrabass und Trommel begleiten zu lassen. Und die machten Musikkabarett ganz auf der Höhe unserer Zeit. Sie parodierten etwa passend zum Wetter der Song „Barfuß im Regen“. Wenn daraus „Barfuß in Bremen“ wurde, dann war das noch ein billiger Kalauer, aber wenn die Basslinie sich elegant in die von Joe Zawinuls Jazzklassiker „Birdland“ verwandelte, dann war das ein musikalischer Gag auf hohem Niveau.

Aber natürlich gab es auch einen Tiefpunkt: Ein Musiker trat mit Gitarre vor das Publikum und sang erbärmlich schlecht. Halbgar vertonte Leitartikel, bemühte poetische Bilder, eine kratzige Stimme, die keinen Ton richtig traf, dazu nicht ein eigener musikalischer Einfall. Er klang wie eine billige Kopie von Franz Josef Degenhardt und war ja auch dessen Sohn Kai Degenhardt. In der Burg Waldeck wäre er einst böse ausgebuht worden, im „Haus Blomendal“ reichte schon der Name und es gab höflichen Applaus. Treue macht blind, aber auch das machte das „Festival der Lieder“, seine Veranstalter und sein Publikum letzlich sympathisch.

Wilfried Hippen