JÖRG HAIDER ERWEIST SICH IMMER MEHR ALS FALL FÜR DEN PSYCHIATER
: Der Unberechenbare

Wenn Jörg Haider eine Woche lang nicht in den Schlagzeilen ist, bekommt er Entzugserscheinungen. Da aber Kärnten (abgesehen von den saisonüblichen Murenabgängen) von Flutschäden verschont blieb, war es dem Landeshauptmann nun tagelang verwehrt, sich medial in Szene zu setzen. Schließlich konnte er angesichts der Flutkatastrophe schlecht in Gummistiefeln und Ölzeug am sonnigen Wörther See auftreten. Oder?

Jörg Haider fand einen Ausweg: Er macht sich nun für jene Mehrheit stark, die von der Flutkatastrophe nur in Gestalt lästigen Dauerregens oder monothematischer Nachrichtensendungen belästigt wird. Seine Methode dabei ist dieselbe wie immer: Er mobilisiert Neid und Missgunst. Wie kämen die Regierung in Wien dazu, so Haider, die Bürger Österreichs nicht nur durch ständige Fluthilfe-Spendenaufrufe zur Kasse bitten zu wollen – sondern ihnen nun auch noch die versprochene Steuererleichterung wegzunehmen? Diese Position ist natürlich ausgemachter Unsinn. Aber dem Phänomen Haider muss man sich längst eher über die Psychoanalyse als über die Politikwissenschaft nähern. Mit populistischer Effekthascherei lassen sich seine Auftritte nicht mehr erklären.

Haider hat sich in letzter Zeit gleichzeitig als künftiger Führer der europäischen Rechtsaußenparteien, als Oppositionschef und als staatstragender Retter der österreichischen ÖVP-FPÖ-Koalition präsentiert. Es ist völlig undurchschaubar, ob er seine Partei über die nächsten Wahlen hinaus in der Regierung halten oder schleunigst in die Opposition holen will, um einen weiteren Wählerverlust zu bremsen. Haider, ein begnadetes Showtalent, hat die FPÖ groß gemacht und in die Regierung gehievt. Jetzt muss er mit ansehen, wie aus der deutschtümelnden Führerpartei eine staatstragende Organisation geworden ist, die in weiten Kreisen als normale Partei betrachtet wird – solange er sich im Hintergrund hält. Für einen Egomanen ist das völlig unerträglich.

Aus Haiders Aussagen darf man schließen, dass er eine von ihm straff geführte kleine Oppositionstruppe einem vergleichsweise erfolgreichen Technokratenteam vorzieht. Seiner Statthalterin Riess-Passer und dem von ihm handverlesenen Ministerteam ließ er vor zwei Wochen via Medien ausrichten, sie mögen sich nach einer Wahlschlappe im nächsten Jahr „vertschüssen“. Jetzt ergibt sich mit dem Streit über die Steuerreform die Chance, die parteiinterne Wende schon vorher zu provozieren.

Wahrscheinlicher jedoch ist, dass Haider den Putsch wieder abbläst. Denn dem erratischen Kurs des Caudillos können immer weniger Getreue folgen. Und wer führt schon gern seine Partei in eine sichere Niederlage? RALF LEONHARD