Wechselbäder

Ärgernis, Genuss und Erlebnis: Die Dresdner Philharmonie erweist sich beim SHMF in Hamburg als Orchester ersten Ranges – nicht nur für Brahms

von REINALD HANKE

Es war ein Wechselbad: Da freute man sich auf eine Begegnung mit dem Spanischen Nationalorchester und dann spielt dieses Orchester gar nicht. Aber schon die ersten Takte des SHMF-Konzertes in der Hamburger Musikhalleriefen dennoch Freude hervor: über die Klangkultur eines Orchesters, das bisher nicht den Ruf eines Spitzenorchesters hatte. An diesem Abend sollte sich herausstellen, dass die Dresdner Philharmonie, die das Konzert nun gestaltete, keinen Vergleich mit viel bekannteren Orchestern zu scheuen braucht.

Die Streicherkultur der Dresdner gehört zum Feinsten: Ein voller, satter, dabei sehr geschmeidiger Klang bildet das Fundament. Das Besondere daran ist eine leichte Höhenbetonung, die aber nie das klangliche Gleichgewicht aus dem Lot bringt. Einzig der in Solostellen manchmal etwas aufdringliche Konzertmeister störte hier gelegentlich. Besagte Höhenbetontheit auch in den anderen Orchesterteilen: Im Blech führte das zu einem zumeist geradezu eleganten, höchst selten scharfen Klang, der durch die sehr kräftig-vollen tiefen Register ergänzt wird. Die Holzbläserabeilung ist die einzige Gruppe, der die innere Ausgewogenheit eines ganz großen Orchesters noch fehlt. Zu disparat scheint dort das Spektrum zwischen leicht angeschärftem Flöten- und grummelndem Fagottklang.

Aber gleichwohl gaben die Musiker der Dresdner Philharmonie zum Staunen Anlass. Das Ensemble zeigte sich an diesem Abend nämlich nicht nur als sehr beachtliches Brahms-Orchester, sondern als eines, das in vielerlei Klangfarben schillernd, in rhythmischen Feinheiten brillant für das angesagte Repertoire geeignet war. Wie selbstverständlich war dieses Orchester in der Lage, die spezifischen Eigenarten der Musik von Joaquin Turina und Manuel de Falla auszukosten.

Auch wenn die Darbietungen von Turinas Danzas fantasticas nur bedingt gelangen, da Dirigent Rafael Frühbeck de Burgos noch gehemmt schien, so hörte man doch bereits hier eine Vertrautheit mit derartiger, auf klangfarbliche Feinheiten ausgerichteter Musik, die selten ist. Die brillanten Zugaben eines spanischen Tanzes und eines Opernzwischenspieles von Enrique Granados bestätigten diesen Eindruck auf das Schönste. Da kam jede kleine Verzögerung, jede rhythmische Raffinesse so, als wäre es die reinste Spielerei: Ein Genuss.

Manuel de Fallas Ballettsuite El amor brujo war dagegen kein Genuss. Nicht nur, dass der Dirigent bei diesem Stück sein Temperament gar zu sehr hinter Stolz versteckte, die Sängerin Mayte Martin schien mit ihrem Part entweder vollkommen überfordert oder stimmlich indisponiert. Im ersten Fall hätte man sie gar nicht erst verpflichten dürfen, im zweiten Fall hätte sie besser abgesagt, als die Zuhörer mit kaum hörbaren, rauhen Tönen zu quälen. Martins im Flamenco-Gesang sicher faszinierendes Stimmtimbre mag durchaus für den Part in de Fallas Stück geeignet sein, aber an diesem Abend fehlte ihr das nötige Stimmvolumen und jegliche Stimmtechnik, um den Mangel auszugleichen. Ein Ärgernis.

Aber es gab ja noch eine von Satz zu Satz immer zwingender werdende Interpretation der ersten Sinfonie von Johannes Brahms, die im so natürlich gesteigerten, fulminant zu den Höhepunkten getriebenen Finale ungeahnte Gefühlsabgründe aufriss. Und trotz zügiger Tempi klang diese Interpretation immer in sich ruhend. Ein Erlebnis.