„Die Shoah steht unweigerlich ins Haus“

Im Interview: die Hamburger Publizistin Viola Roggenkamp über Feminismus, Psychoanalyse und ihr neues Buch, das unter dem Titel ,,Tu mir eine Liebe. Meine Mamme. Jüdische Frauen und Männer in Deutschland sprechen von ihrer Mutter“ veröffentlicht wurde / Morgen Lesung in Bremens Jüdischer Gemeinde

Die Publizistin Viola Roggenkamp aus Hamburg beschäftigt sich mit Feminismus, Psychoanalyse und jüdisch-deutschen Zusammenhängen. Wie sie diese Arbeitsbereiche in ihrem neuen Buch „Tu mir eine Liebe. Meine Mamme. Jüdische Frauen und Männer in Deutschland sprechen von ihrer Mutter“ (Berlin: Jüdische Presse 2002, Euro) zusammenführt, erzählte sie der taz.

taz: Sie schreiben im Vorwort, „die jiddische Mamme ist keine Übertreibung, keine Kunstfigur und kein Klischee“. Was ist sie dann?

Viola Roggenkamp: Sie ist eine Mutter, die sich, wie andere auch, besorgt um ihre Kinder kümmert. Aber sie ist in einer historischen Tradition zu sehen. Es gibt eine besondere, tradierte Angst. Gerade die deutschen Juden sind ein gutes Beispiel dafür gewesen, wie glaubhaft Assimilierung sein kann. Selbst in Zeiten der Assimilation ist es normal, dass man zu anderen über das eigene Jüdischsein nicht spricht. In diesen Zusammenhang gehört auch ein Maß an Mehr-Angst.

Kann man sagen, dass sich in diesen speziellen Mutter-Kind-Verhältnissen Erfahrungen abgelagert haben?

Das Wirkungsstarke ist ja gerade, dass man dies nicht verarbeitet hat, es nicht verbalisieren kann. Gerade im Nonverbalen überträgt sich das Trauma. Ich glaube, jüdische Mütter haben auch eine bestimmte Art von Kraft, mit der sie sich ihren Kindern gegenüber behaupten können, mit der sie sich in Szene setzen und einen Platz einnehmen. Vor dem Hintergrund der Geschichte ist es schwierig, ihnen zu widersprechen.

Haben Sie versucht, auf dem Umweg über diese intensiven Gespräche mit den Kindern etwas von diesen normalerweise nonverbal ablaufenden Prozessen ans Licht zu bringen?

Das Sprechen über die Mutter im Zusammenhang mit Juden in Deutschland ist eine gute Möglichkeit gewesen, Geschichte zu bergen. Sie in die Gegenwart zu bringen. Man kann nicht gegenwärtig sein und für die Zukunft planen, ohne die Vergangenheit auch präsent zu haben. Wenn Leute, nichtjüdische Deutsche zumal, von der Beendigung der Debatten um den Nationalsozialismus reden, denke ich immer: Mensch, wenn ihr eine Erleichterung wollt, dann ist das genau der falsche Weg. Man kann etwas nur – in einer bestimmten Weise – bewältigen, wenn man es zu sich nimmt.

Meinen Sie, dass sich in diesem Verhältnis etwas verändert hat?

Ich habe mich oft gefragt, warum bei den nichtjüdischen Deutschen alles in Ordnung ist, wo doch eigentlich die Panik mit am Tisch sitzen müsste. Wenige, sehr wenige sagen: Das war ja gar nicht so. Sie denken nicht nur darüber nach, wie ihnen verschwiegen wurde, sondern auch, wie sie dieses Schweigen wiederum fortsetzen.

Mütter tauchen in diesem Buch nicht zum ersten Mal auf. Auch Ihr Buch über Mütter lesbischer Töchter trägt einen „Mutter-Satz“ im Titel. Woher kommt das Interesse an Müttern?

Das hat sicherlich auch etwas mit Frauenbewegung zu tun, also der letzten. Auch wenn mir Frauengruppen nie lagen, ich war schon mittendrin, nicht zuletzt durch meine Mitarbeit bei Emma. Und es ist ein interessanter Faden, in die eigene Geschichte einzusteigen. Die Mutter ist sicherlich der Mensch, gegenüber dem man auch immer wieder aufsteigende Ängste hat. Das ist unterschiedlich stark und auch wahr für nichtjüdische Familien. Gleichwohl ist es nicht unwichtig, dass bei jüdischen Familien dahinter die Shoah steht. Auch wenn nicht permanent darüber gesprochen wurde. Es gab ja Ausbrüche und Einbrüche. Das passiert den Tätern erstaunlicher Weise nicht.

Wladimir Kaminer sagt gleich zu Beginn des Gespräches: „Das wird wohl ein ganz schön trauriges Interview‘‘. Ironie? Bei diesem Thema war klar, dass jedes Gespräch früher oder später bei der Shoah angelangt. Auch wenn die Menschen verschieden sind. Wie bereitet man sich da vor?

Für dieses Thema war es wichtig, dass ich selber eine Analyse gemacht habe. Also auch meine Beziehung zu meiner Mutter, aber auch zu mir, zum Jüdischsein, durchgearbeitet habe. Auch wenn man nicht alles bearbeiten kann. Insofern kann man sich auch auf so ein Interview nie ganz vorbereiten. Sie haben recht: Die Shoah steht unweigerlich ins Haus, und damit ist die Frage ,,Wann kommt das Thema?“ von Beginn an im Gepräch mit drin. Manchmal habe ich mich geniert, weil ich Leuten ins Wort gefallen bin. Ich habe mich wie eine Art Filter erlebt.

Wie präsentiert man so ein Buch?

Mir fällt es schwer, mich zu entscheiden. Ich lese ein Portrait vor und einen Teil aus dem Essay. Zunächst das Portrait, weil ich eine Lebendigkeit in den Raum stellen will, bevor man zu den Gedanken kommt. Der Essay schafft wieder etwas Distanz zu dem zuvor gehörten Leben. Doch die Auswahl fällt schwer, weil die Texte insgesamt ein Mosaik bilden. Fragen: Tim Schomacker

Viola Roggenkamp stellt „Tu mir eine Liebe‘‘ morgen (28. August, 19.30 Uhr) in der Jüdischen Gemeinde, Schwachhauser Heerstraße 117, vor.