Das Beste von gestern

Keine ansprechende Adresse auf der Agenda des neuen Berlins: Am Lützowplatz lässt sich gut studieren, was Mitte mal blühen wird, wenn der Hype vorbei ist –Massenbettenhotels, teure Bars, verwinkelt postmoderne Wohnblöcke aus dem IBA-Katalog

von HARALD FRICKE

Früh morgens, wenn man noch nicht ganz wach ist, nervt die Stimme von Ben Becker am meisten. Tiefziehend knarrt er sein Hallöchen in die Werbeschleife von Radio Eins und erklärt, dass man afterworkmäßig ganz toll in seiner Bar saufen kann, und so verkatert, wie er klingt, ist er selbst bestimmt der beste Gast in seiner „Trompete“, Lützowplatz 9.

Nein, der Lützowplatz kurz hinter der Urania am äußeren Zipfel der City-West ist kein schöner Treffpunkt, keine wirklich ansprechende Adresse auf der Agenda des neuen Berlins. Trotzdem kann man dort sehen, was Mitte irgendwann mal blühen wird, wenn der Hype vorbei ist: Ein Massenbettenhotel der gehobenen Saunaklasse und ein Hotel für Fünf-Sterne-Manager auf Durchreise, dazu eine Vielzahl verwinkelt postmoderner Wohnblöcke aus dem Internationale-Bauausstellung-Katalog und eine Zeile mit teuren Kneipen umschließen ein bisschen Grünfläche, auf der zwei Schilder die Leute ermahnen, doch bitte beim Betreten auf die Grünflächenverordnung von 1997 zu achten.

Trostlos ist die Berliner Pracht am südlichen Rand des Tiergartens, alle 20 Jahre wird das Areal neu aufgebrezelt und gammelt dann wieder vor sich hin bis zur nächsten „Unser Platz soll schöner werden“-Initiative. Die ganze Gegend um den Lützowplatz sieht herausgeputzt alternativmuffig aus, nachdem auf diesem Ende Instandbesetzer zu Mietergemeinschaften wurden, die ihren kleinen Kiez als verkehrsberuhigte Zone nach BRD-Modell gestalteten. Seither passt auch der Verweis auf die knorken Städtepartnerschaften, die man an zentraler Stelle mitten auf dem Rasen auf einer Tafel niedergeschrieben hat: Kassel, Mülheim/Ruhr und Schwalm-Eder-Kreis, besser kann man den Niedergang Westberlins nicht dokumentieren.

Früher konnte man von der 129er-Bushaltestelle aus auf eine Imbissbude oberhalb der Herkulesbrücke blicken, an der sich die Prostituierten zwischen zwei Ficks was zum Aufwärmen holten. Heute steht da der Parteibunker der CDU, und man starrt auf Angela Merkel, die auf Edmund Stoiber starrt, der durchgefeuchtet in die Ferne starrt. Sie nennen es: „Zeit für Taten“.

Sehenswürdig ist hier nichts, außer einer Skulptur auf der Wiese, von Louis Touaillon, der 1904 „Herkules und der erymantische Eber“ in Bronze gegossen hat. Das Besondere an der Szene ist nicht der Kampf mit dem in der Mythologie als unbesiegbar geltenden Schwein, sondern die zwei schwarzen Graffiti-Sprayflecken, mit denen irgendjemand Herkules zu properen Chippendale-Brustwarzen verholfen hat. Sieht extrem gay aus.

Als Gegengewicht zu Tuaillons wildem Bronzespektakel wurden 1985 mehrere Schmerzensfiguren von Sabine Grzimek aufgestellt. Ihre lang gezogene, magere Erscheinung haben sie von Giacometti, der verzweifelte Gesichtsausdruck wurde von Käthe Kollwitz geborgt. Überhaupt ist bei Grzimeks Ensemble alles furchtbar traurig: die Kindheit, das Leben. Gerne schaut man da nicht hin, aber die Galerie Eva Poll hat durchgesetzt, dass die Gruppe auf dem Rasen steht, und die Galerie Eva Poll ist gut in Sachen Lobbyismus, immerhin hat sie neben Galerieräumen noch eine Kunststiftung am Lützowplatz, mit der sie sich um das Erbe des deutschen 20er-Jahre-Realismus kümmert. Gleich nebenan ist die Bar am Lützowplatz, über die die Whiskey-Marke „Black Bush“ auf einer von ihr gesponserten Worldsbestbar-Homepage behauptet, sie sei die „Bar of the Moment“. Dabei sehen die verchromten Tische und Stühle, die verwaschene Moet-&-Chandon-Markise und das zackige Layout der Cocktail-Karte viel mehr aus wie das Beste von gestern. Tagsüber jedenfalls ist kein Mensch in Sicht, einsam stehen nur zwei leergesuckelte Mojito-Gläser herum, und nach der Arbeit gehen die Leute ja angeblich ohnehin alle ins Nachbarhaus, zu Beckers „Trompete“.

Das letzte Haus auf dem Weg zum U-Bahnhof Nollendorfplatz hat die interessanteste Geschichte. Nichts ahnend schlendert man an der Stiftung Warentest vorbei, die momentan mit „Wohnen ohne Gift“ wirbt und ansonsten auch Finanzen testet. Vor 70 Jahren war am Lützowplatz 11 jedoch noch die Braunschweigische Gesandtschaft untergebracht, die auch deutsche Staatsbürgerschaften ausstellen durfte. Eine davon ging am 25. 2. 1932 an Adolf Hitler, der über seine Ernennung zum Regierungsrat von Braunschweig unter die Deutschen kam. Vielleicht hätte man in Erinnerung dieser folgenschweren Ehrung eine Tafel an dem Haus anbringen sollen. Stattdessen weist man lieber darauf hin, dass der Lützowplatz am 23. 11. 1869 nach Adolph Freiherr von Lützow benannt wurde, der als preußischer Held galt, weil er 1809 gegen Napoleon den „Rebbellenzug“ angeführt hatte. Zudem ist man stolz, dass hier Adolf Jandorf wohnte, dem das KaDeWe gehörte. Sein Ehrengrab befindet sich auf dem Friedhof der Jüdischen Gemeinde in Weißensee, weit weg im Osten der Stadt.