Präzise Reduktion

Arjun Rainas Soloperformance „The Magic Hour“ auf Kampnagel bewegte sich geschickt zwischen indischem Tanz und britischer Schauspielschule

von MARGA WOLFF

Arjun Raina ist nicht nur ein begnadeter Schauspieler und versierter Tänzer, sondern vor allem ein charmanter, amüsanter Entertainer. Und noch dazu ein Schlitzohr. Subtil, doch zielgenau entführt er auf jenes unsichere Terrain, auf dem die Magie des Theaters in absurder Weise kulturelle Realitäten und Glaubensbekenntnisse bloßlegt. Doch Arjun Raina ist viel zu klug, um den moralischen Zeigefinger zu heben. Dennoch folgt das Solo des indischen Performers The Magic Hour in gewisser Weise den Regeln eines Lehrstücks. Eines, das Struktur und Motive des indischen Tanzes Kathakali in beeindruckender Weise offenlegt, über Rhythmus und Form ganz plastisch zur Artikulation findet.

Wenn Arjun Raina im schweren, prachtvollen Tanzkostüm aus der Mitte seines Körpers heraus, begleitet vom Stampfen seiner Füße, Shakespeare deklamiert, dann klingt das nach hoher englischer Schule. In England hat Raina Schauspiel studiert, später dann in Indien den Kathakali-Tanz. Beim Laokoon Sommerfestival auf Kampnagel war er jetzt zum ersten Mal in Europa zu Gast.

Vor dem Hintergrund des heutigen, postkolonialen Indien begegnen sich auf seiner Bühne die beiden zeitgleich entstandenen Traditionen. Sein Sommernachtstraum verlegt den Wald des elisabethanischen Stücks von Athen nach Kerala. Dort legt sich derAffengott Hanuman listig dem Blumen suchenden Bhima in den Weg und erklärt den tumben „Mahabharata“-Krieger schlichtweg zum Esel. Anschließend tanzt Raina einen Esel, setzt sich dazu einen Pappkopf auf.

Es ist ein zögernder, stockender, bizarrer und recht sparsamer Tanz. Niemals wird er zur Parodie. Raina versucht auf ganz subversive Art und Weise, und auch mit Hilfe ganz konkreter Anspielungen, über die Form an einen Geist zu rühren, der eine tiefe Humanität anspricht, und trotz Ironie mitunter die Verletzungen spürbar werden lässt, die der Kolonianismus den Menschen in seiner Heimat zugefügt hat.

Mühelos wechselt Raina die Rollen, spielt gekonnt mit der expressiven Mimik seines stark geschminkten Gesichts. Sein Mund vollführt die seltsamsten mampfenden Verrenkungen. Tiere liegen ihm besonders, und im Kathakali, dem ursprünglichen Tempeltanz und späteren Volksschauspiel, haben sie ihren festen Platz. Gefühl und Gestik paaren sich – ausgemalt durch die Poesie seiner Worte – wenn der Mimenkünstler sich anrührend komisch und beeindruckend anschaulich in tierisch-menschliche Zustände begibt, um traurig wie ein Fisch, stolz wie ein Elefant zu sein. Oder auch friedvoll wie ein Heiliger.

Im Kathakali wird nicht zwischen Tänzer und Tanz unterschieden, Charaktere ändern sich im Fluss der Bewegung. Manchmal reicht Raina ein Augenzwinkern, um sich vom Krieger in ein kokettes Fräulein zu verwandeln. Und dann ist Raina wieder Mr. Peter Pillai, halb Brite, halb Inder, der seine Zuschauer gewitzt in die hybriden Verflechtungen seiner Kunst, die er Khelkali nennt, einweiht. Khelkali bedeutet für ihn, „spielerisch eine Geschichte zu tanzen“. Die Kraft der Bewegung im indischen Tanz vergleicht er mit der eines Baumes, dessen Wurzeln, Form und wundervolle Stabilität fantastische Transformationen erlauben.

Einfach phänomenal ist da sein Othello. Mit ausgebreiteten Armen steht er nur da, den Krummsäbel in der Hand. Diesmal kommt seine Stimme vom Band. Ein Zucken der Mundwinkel unter der Halbmaske, eine Woge nur, die durch sein Becken geht – in diese minimalen Bewegungen legt er alle Wut und Eifersucht. Eine konzentrierte, höchst präzise Reduktion von Performance, die, ganz entgegen heutiger Lässigkeit, kein bisschen altmodisch wirkt.

Begonnen hatte der Hindu Arjun Raina, der übrigens nach seinem Studium nie wieder in England war, zumindest noch nie mit seiner eigenen Show dort aufgetreten ist, mit einem muslimischen Gebet. Ob die Briten ihn mögen würden, das interessiert ihn schon. Einerseits zweifelt er daran, anderseits möchte er fest daran glauben.