harald fricke über Märkte
: Gebenefizt seist du, Spendenflut

Auf T-Shirts sind Wasser pumpende Bundeswehrsoldaten nebst sächsischem Wappen kleidsam und hilfreich

Die Spendenwelle hat am letzten Wochenende ihren Scheitelpunkt erreicht. Im Radio erklärte ein Moderator mit einigem Stolz, dass während der vergangenen Tage insgesamt 100.000 Euro auf einem extra vom Sender für die Flutopfer eingerichteten Konto eingegangen seien. Dafür durften sich die Spender im Gegenzug eines ihrer Lieblingslieder wünschen, die jedes Mal nach Nennung des Namens und der überwiesenen Summe gespielt wurden. Über 1.000 Hits waren dabei zusammengekommen, ein nervenraubender Megamix aus U 2, Tote Hosen und Eric Clapton. Viel schlechte Musik für einen guten Zweck, genau wie in den Fernsehbenefizshows, die mehr an ein Stelldichein der Volksmusik- und Schlagerfamilie erinnerten. Doch wer würde schon in Zeiten der Not besonderen Wert auf die popkulturell gerade brandheißen Trends legen?

Ganz ohne Distinktion ging es trotzdem nicht. Mit leicht süffisanter Stimme las einer der Radiomoderatoren irgendwann vor, dass ein gewisser Y aus dem kleinen Örtchen X „ganze 10 Euro“ gespendet habe, aber da dürfe man nicht böse sein, momentan sei ja jede Summe willkommen. Dennoch klang das knappe, pflichtschuldige Dankeschön an die Spenderadresse wie eine Mahnung, doch bitte von solchen Kleckerbeträgen abzusehen – schließlich gehe es bei der Geldsammelaktion um ein gewaltiges Wiederaufbauprojekt, für das nur großzügig bemessene Überweisungsschecks zählten. 10 Euro sind in diesen Tagen offenbar nicht wirklich ein ernst zu nehmendes Opfer, das konnte man aus dem säuerlichen Kommentar gut heraushören.

Gleichwohl ist das gesamte herbeigebenefizte Spendengeld nur Makulatur angesichts der entstandenen Schäden. An die 100 Millionen Euro stehen notwendige Reparaturmaßnahmen in Höhe von geschätzten 15 Milliarden Euro gegenüber. Tatsächlich funktioniert die karitative Angelegenheit überaus symbolisch: Die Bevölkerung gibt her, was sie entbehren kann; den Rest muss der Staat regeln. Zwangsläufig handelt er dabei in ihrem Auftrag, es sind ja alles Steuereinnahmen, mit denen die Krisenregion unterstützt wird. Insofern ist jede Spende eine Zugabe, die signalisiert, dass man jenseits der staatlichen Hilfe auch individuelle Unterstützung leisten will. Selbstverständlich ist daran nichts: Was in der Öffentlichkeit gerne als hohe Tugend der Solidarität, als ein Akt des Mitgefühls glorifiziert wird, ist im Grunde der schlichte Ausdruck dafür, dass neben dem Staat noch die Summe all seiner Teile existiert.

Das gilt natürlich auch für jenen Y mit seinen 10 Euro, die für mich keinen Unterschied machen zu Michael Schumachers Million, dem Spenden-Euro bei jeder verkauften Focus- oder Stern-Ausgabe und zu den 250.000 Euro der Bild-Zeitung, die via ARD nach Sachsen gingen. Im Gegenteil: All diese Beträge sind wohl kalkuliertes soziales Kapital. Schumacher war nach seiner Spende nicht mehr nur der stumpf WM-Runden drehende Motorsportheld, dessen monotone Siege für die meisten Deutschen ohnehin zum Standard geworden sind; jetzt gilt er plötzlich selbst bei Autorennenhassern als Mensch hinter der Hochtourenmaschine, was dem Werbeträger Michael Schumacher in den nächsten Monaten sicherlich zugute kommen wird. Kein Zweifel, da ist das Geld gut angelegt worden.

Aber auch in den Redaktionen der Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender ist die Katastrophe ein absoluter News-Renner im Sommerloch. Täglich wurden mehr Kameras, Übertragungswagen und Reporter in das Überflutungsgebiet geschickt, weil die Einschaltquote mit dem Wasserpegel stieg. So waren allein bei Focus letzte Woche 50 Redakteure mit dem Hochwasser beschäftigt, 20 davon vor Ort. Im Furor des Infobusiness kamen dann immer häufiger Nachrichten über Katastrophentouristen zustande, die die Rettungsarbeiten behinderten – eigenartigerweise schien aber niemand daran Anstoß zu nehmen, dass praktisch auf jedem Sandsack irgendein Fernsehteam stand und live berichtete.

Bleibt noch die Frage: Wie den Schlamassel abbezahlen? Vielleicht kann man sich da ein Beispiel an den USA nehmen, die im Umgang mit nationalen Tragödien einige Übung haben. Nach dem 11. September gab es einen unglaublichen Boom an Stars-&-Stripes-Memorabilia, kein Zahnputzbecher war mehr ohne aufgedruckten Patriotismus in Ikonenform zu haben: hier tapfere Feuerwehrmänner, dort ein Bild der World-Trade-Center-Türme aus besseren Tagen – und überall Flaggen, Flaggen, Flaggen. Ob es wohl bald T-Shirts mit Wasser pumpenden Bundeswehrsoldaten und dem Wappen von Sachsen gibt? Dann kauf ich eins, auch wenn es mehr als 10 Euro kosten sollte, ist ja für einen guten Zweck.