Peres drängt auf Angriff gegen Irak

Israels Regierung meint, dass jede Verzögerung die Gefahren für das eigene Land erhöht

JERUSALEM taz ■ Sollte Saddam Hussein uns mit chemischen oder biologischen Waffen angreifen, hat er mit einer Atombombe zu rechnen – diese Reaktion Israels stellte Ex-Premierminister Benjamin Netanjahu in den späten 90er-Jahren in Aussicht. Eine Option, die von der heutigen Regierung nur ungern öffentlich diskutiert wird. „Es wäre unklug, jetzt mit möglichen Reaktionen auf einen Angriff zu drohen“, meinte unlängst Jarden Vatikai, Sprecher des Verteidigungsministeriums in Tel Aviv. „Wir werden jeden unserer Schritte prüfen, wenn die Zeit dafür kommt.“

Entgegen diesen vagen Ausführungen lässt Premierminister Ariel Scharon aber keinen Zweifel daran, dass er, in welcher Form auch immer, auf einen Angriff reagieren wird. Die Situation ist heute eine andere als vor elf Jahren, als der damalige Regierungschef Jitzhak Schamir den gesamten Golfkrieg über Zurückhaltung übte. Während Schamir fürchten musste, mit einem Vergeltungsschlag die bestehende antiirakische Koalition aufzubrechen, sind die USA heute nahezu im Alleingang tätig.

Außenminister Schimon Peres drängt auf einen schnellen US-Angriff, weil „jeder Aufschub die Gefahren nur steigern würde“. Der Regierungssprecher meint, dass es unsinnig sei, „Hussein Zeit zu geben, um sein nichtkonventionelles Waffenprogramm zu beschleunigen“. Informationen der israelischen Nachrichtendienste zufolge habe der Irak seine Anstrengungen, atomare Waffen zu produzieren, intensiviert.

Doch in Israel sind auch warnende Stimmen zu vernehmen. „Ich hoffe, dass es niemals zu einem Angriff kommen wird“, meint die Abgeordnete Sahava Galon (Meretz), Mitglied im parlamentarischen Sicherheitsausschuss. „Nicht, weil ich Saddam für einen Gerechten hielte – wir alle wissen, dass er der schlimmste aller Verbrecher ist – sondern weil wir in Israel als Erste darunter leiden werden.“

Während die Politiker zur Geheimhaltung von Detailinformationen angehalten sind, spricht der Experte für nichtkonventionelle Kriegsführung Dany Schoham von der Universität Bar-Ilan offen über seine Kenntnisse. Der Wissenschaftler ist sich zwar nicht „absolut sicher“ über die Möglichkeiten Husseins, dennoch „ist höchstwahrscheinlich, dass er über das Pockenvirus verfügt“. Offiziell befindet sich das hochansteckende und in 50 Prozent der Fälle tödliche Virus weltweit nur in zwei Forschungslabors – in den USA und Russland. Schoham vermutet es zudem im Irak und in Nordkorea. Das Virus sei schon in kleiner Menge gefährlich und deshalb „leicht zu verbreiten“. Wer einmal infiziert ist, muss auf die Abwehrkräfte seines eigenen Körpers hoffen, denn Antibiotika helfen nicht.

Mitte vergangener Woche entschied sich die Regierung in Jerusalem für die Impfung von 15.000 Angehörigen der „first response teams“, also Feuerwehrleute und medizinisches Personal. Allerdings sind Wissenschaftler über den Sinn von Massenimpfungen uneinig. Während Schoham dringend zur Immunisierung der Bevölkerung „nicht nur in Israel, sondern weltweit“ rät, glaubt Marwin Schapira, Pockenexperte im Hadassa-Krankenhaus in Jerusalem, dass „keine Eile besteht, solange die Krankheit noch gar nicht existiert“.

Während bei Ausbruch der Pocken die Medizin ratlos ist, gibt es nach einem Angriff mit Beulenpestbakterien, die sich „höchst wahrscheinlich“ im irakischen Arsenal befinden, sowie mit Anthrax und dem Nervengas Sarin relativ schnelle Hilfe. Schoham vermutet, dass Hussein zudem über so genannte schmutzige Bomben verfügt, radioaktiven Stoff, der per Sprengsatz verbreitet eine „nicht unmittelbar tödliche, aber stark Krebs erregende Wirkung hat“.

Für jeden Fall sei Israel „heute besser vorbereitet“ als vor elf Jahren, meint der Sprecher des Verteidigungsministeriums Vatikai. Erst nach dem damaligen Krieg wurde das Kommando der „Heimatfront“ eingerichtet, die unter anderem für die Verteilung von Gasmasken und demnächst vermutlich auch Jodpillen – vorbeugend gegen Schilddrüsenkrebs – zuständig ist.

Die wichtigste Mission der Armee ist indes, die irakischen Raketen gar nicht erst bis nach Israel vorzulassen. Die so genannte Pfeil-Rakete sowie die „Patriots“, die im Golfkrieg keine einzige der 39 auf Israel abgeschossenen irakischen Scuds aufhielten, inzwischen aber „deutlich verbessert wurden“, sollen die feindlichen Raketen abwehren.

SUSANNE KNAUL