Vor der Abwahl kommt die Neuwahl

Das Abgeordnetenhaus sägt heute voraussichtlich nicht nur den Generalstaatsanwalt ab, sondern füllt vorher noch die Regierung auf. Die SPD-Fraktion sichert dem designierten Wirtschaftssenator Wolf (PDS) „volle Unterstützung“ zu

Wenn Christoph Stölzl (CDU) heute im Abgeordnetenhaus ins Poetische verfällt, wird er das falsche Manuskript erwischt haben. Erst zwei Tage später, bei der langen Nacht der Museen, will der Parlamentsvize und Exkultursenator an gleicher Stelle Geschichten und Gedichte vorlesen. „Ursprünglich wollte er Volkslieder im Foyer vortragen“, ist von der Parlamentssprecherin zu hören. Heiter-nett soll es werden, sagt Stölzl. Die Tagesordnung der ersten Sitzung nach der Sommerpause nimmt sich dagegen ernst aus: Neben der Karge-Abwahl stehen auch die Neuwahl des Wirtschaftssenators, eine aktuelle Stunde zum Klimaschutz und die Zukunft des Alexanderplatzes an. Die Grünen wollen zudem einen Hundeführerschein durchsetzen.

Die Sitzung ist die erste, seit das Abgeordnetenhaus mit Stimmen von SPD und PDS Ende Juni den Doppelhaushalt für 2002 und 2003 verabschiedete. In der Zwischenzeit trat überraschend PDS-Zugpferd Gregor Gysi als Wirtschaftssenator, Bürgermeister und Abgeordneter zurück, zudem entschied sich Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) entgegen früheren Ankündigungen dafür, das Brandenburger Tor dauerhaft dicht zu halten. Auch die CDU hatte ihr Sommertheater: Fraktionschef Frank Steffel machte sich in in seiner Partei mit Äußerungen zur Homoehe und zur Bankgesellschaft unbeliebt.

Gysi, erst seit Januar Senator für Wirtschaft, Arbeit und Frauen, war wegen privater Nutzung von Bonusmeilen am 31. Juli zurückgetreten. Die PDS-Landesspitze hatte fünf Tage später Harald Wolf, seit 1995 Fraktionschef, als Nachfolgekandidaten benannt. Der Koalitionspartner SPD begrüßte diese Entscheidung, in der Wirtschaft waren die Meinungen geteilt: Die Industrie- und Handelskammer schrieb Wolf Potenzial für Stehvermögen und Tatkraft zu, der Geschäftsführer der Unternehmerverbände Berlin-Brandenburg sah sich hingegen „auf Urängste zurückgeworfen“.

Wolf braucht im Abgeordnetenhaus nur eine einfache Mehrheit der Stimmen, seine Wahl gilt als sicher. Beim einem Besuch des designierten Senators bei den SPD-Parlamentariern gab es laut Fraktionschef Michael Müller keine kritische Stimme. Wolf habe die volle Unterstützung der SPD, sagte Müller

Die Abstimmung ist mit einer Grundsatzdebatte zur Senatspolitik verbunden: Die Opposition sieht die Regierung in der Krise und fühlt sich durch den Abgang der parteilosen Staatssekretärin Hildegard Maria Nickel bestätigt. Sie war unter Gysi für die Bereiche Arbeit und Frauen zuständig und trat Dienstag zurück.

Entscheiden will das Abgeordnetenhaus auch die Zukunft des Alexanderplatzes. Weil sich die Investoren angesichts massiver Bürohausleerstände bisher beharrlich weigern, die Kollhoff-Planung der frühen 90er-Jahre mit Hochhäusern rund um das Areal zu realisieren, hat der Senat nun einen veränderten Bebauungsplan zur Beratung vorgelegt. Danach können die Investoren, darunter Hines und Kaufhof, erst einmal die blockartigen Sockelgeschosse bauen, ohne die Türme gleich mit zu folgen zu lassen. Diese könnten dann nach 2010 realisiert werden.

Außerdem will das Land auf seine Möglichkeit, bei einer Nichtbebauung das Bebauungsrecht zu widerrufen, verzichten. Die Grünen haben vorab schon einmal Widerstand gegen den Beschluss angekündigt und fordern stattdessen die Neuauflage eines Wettbewerbs, der eine „zeitnahe“ und flexible Gestaltung des Alexanderplatzes zulässt.

Die Grünen-Fraktion will im Parlament außerdem einen Hundeführerschein durchsetzen. Der soll ihrer Ansicht zukünftig für jene Pflicht sein, die einen mehr als 17 Kilo schweren Hund halten wollen. Das angestrebte Gesetz ziele nicht auf das Verbot einzelner Rassen, sagte Fraktionschef Wolfgang Wieland. Die jetzige Kampfhundeverordnung, die für zwölf Rassen Maulkorbpflicht und Leinenzwang vorsieht, geht den Grünen nicht weit genug.          STEFAN ALBERTI/
      ROLF LAUTENSCHLÄGER