Alles bräunt, klebt, dorrt

Krieg im Blumenkasten: Wenn die Natur zurückschlägt, wächst kein Küchenkraut mehr

Tage trügerischer Hitze und Ruhe verglühen. Dann beginnt ein schmachvolles Sterben

Sommerzeit. Hitze flirrt in den Straßen. Selbst auf Wipfelhöhe des Baumes im Hinterhof regt sich kein Lüftchen. Keine Wolke, kein Regen ist in Sicht, und der Bewohner der Kate unterm Dach ist doch für etliche grüne Kreaturen in ebenso grünen Kunststoffkästen verantwortlich, die nach Wasser lechzen.

Hummeln umbrummen die Blütendolden des Lavendels, Marienkäfer lassen sich von den abschüssigen Blättern des Basilikums vier Stockwerke in die unbekannte Tiefe fallen. Und da: Ein Kohlweißling ruht sich auf der Plantage selbst gesäter Brunnenkresse aus. Alles blüht und sprießt in schönstem Frieden. Wirklich alles?

Schon zwingt das lautstarke Richtfest am schlampig ausgeführten Nestbau der Tauben zu einer schweißtreibenden akrobatischen Vormittagsaktion. Ein circa drei Meter langer Nestbeseitigungsapparat wird gebastelt und durchs geöffnete Fenster zur vernichtenden Anwendung gebracht werden. Mit einer waagerecht an drei verbundene Vorhangstangen geklebten Kuchengabel wird der hässliche Suppenteller aus Ästchen und Federn zum Absturz gebracht. Adieu nun, Taubenherrlichkeit!

Leider ist ab sofort nichts mehr, wie es war. Wo eben noch das Blatt der Brunnenkresse glänzte, gähnt am folgenden Morgen garstige Leere: Jäh erschließt sich das seltsame Tun des Kohlweißlings Wochen zuvor: Grüne Raupenungetüme wuchsen seither aus den Eiern, die er unter die Blätter geklebt hat, und machen sich nun breitmäulig über den ganzen Stolz der Kleinstgärtnerei her. Zwei Dutzend Triebe des schmackhaften Krauts haben sie bereits skalpiert! Flugs werden die Täter gestellt und samt Biomüll verklappt.

Tage trügerischer Hitze und Ruhe verglühen. Dann beginnt für Schnittknoblauch und Maggikraut ein schmachvolles Sterben! Konzertierte blutsaugerische Aktionen eingefallener, interkommunal operierender Blattlausarmeen trotzen tagelanger Gegenwehr. Die Feinde einzeln zwischen den Fingerkuppen zu zermalmen, ohne die befallenen Stengelchen mitzuerwürgen, scheitert indes an mangelnder Feinmotorik und am Bevölkerungsdruck der Angreifer. Zwischenzeitlich haben aus der teuer bezahlten Ökoerde Geschwader Weißer Fliegen das Licht des Schlachtfeldes erblickt und vernichten ganze Kerbel- und Dillwaldungen im Blitzkrieg. Alles bräunt, klebt, dorrt. Seifenlauge, durch Zerstäuber versprüht, bringt unversehens statt der Attentäter die Schutzbefohlenen um. Dann geht es Schlag auf Schlag.

Die rachsüchtigen Tauben lassen sich mehrmals schwergewichtig auf den ohnehin geschwächten Restinsassen der Blumenkästen nieder. Sowohl Zitronengeranien als auch Estragon werden so zum Abbruch letzter lebenserhaltender Beziehungen zur Scholle gezwungen. Mehltau befällt unterdessen blühenden Majoran, Salbei verdurstet, da der im Mehrfrontenkrieg abgelenkte Gärtner das Gießen vergessen hat. Ameisen haben sich rasch und konsequent im trockenen Erdblock eingenistet und dehnen ihre Heeresoperationen sofort in die Wohnung aus.

Nachdem dem Balkonkrieger im Traum eine Weiße Fliege mit Flammenschwert erschienen ist, denkt er nicht länger bloß an Kapitulation – er kapituliert … Im Gartencenter wünscht er sich, ausgezehrt von den Kämpfen an der Blumenkastenfront, ein dickfelliges, wenig Wasser konsumierendes Kraut zu erwerben, grün, stachelig und sehr giftig. Doch der Verkäufer hält den Kriegskunden für komplett wahnsinnig und wendet sich Neukunden zu. Unverschämt bietet er ihnen schöne, vollsaftige und mehrjährige Küchenkräuter für den Balkon an. TOM WOLF