Langer Marsch zur Realität

Hunderttausende von Internetcafés sorgen in China für eine ständig wachsende Netzgemeinde. Die meisten waren nur geduldet, aber seit diesem Monat müssen sie eine Lizenz der Regierung haben

aus Peking KRISTIN KUPFER

„Richtig froh“ heißt das Internetcafé im südlichen Teil des Pekinger Universitätsviertels. Noch ist es ziemlich konkurrenzlos in dieser Gegend. Die anderen, die hier ein ähnlich viel versprechendes Geschäft eröffnen wollen, warten noch auf die Lizenz der Regierung. Trotzdem sind nur drei der 50 Computer besetzt, die Angestellten gähnen. „Die Schüler unter 18 dürfen jetzt nicht mehr hier rein“, sagt Zhao Hong, der hinter der Empfangstheke sitzt. Er zeigt auf die glänzenden neuen Schilder am Eingang. Auch eine Notausgangtafel haben er und seine acht Mitarbeiter angebracht, jeder Computer hat eine eigene Steckdose. Tücher vor den Fenstern sind nicht mehr erlaubt, es herrscht Rauchverbot. So lauten die neuen Auflagen der chinesischen Regierung.

Ein Brand mit 24 Opfern und zahlreichen Verletzten in einer illegal geführten Internetbar Pekings hatte in diesem Frühling den Anlass geliefert, sämtliche Surfstationen zu schließen, die es überall im Land gab, ob sie nun legal waren oder nicht. Neu eröffnet, sollen sie nun sicherer und offiziell registriert sein. Zuletzt gab es solche Bars an fast jeder Straßenecke. Allein Peking zählte 2.400 Netzcafés, landesweit existierten rund 200.000. Davon waren aber nur 46.000 offiziell gemeldet. Das Anmeldeverfahren war viel zu kompliziert und zu langwierig – und die Polizei drückte meist beide Augen zu.

Mit billiger, veralteter Elektronik, untergebracht auf engstem Raum, waren gerade illegale Cafés meist durchgehend geöffnet. Schüler schlugen sich die Nächte mit Videospielen um die Ohren. „Der Sohn eines Freundes hat nachts sein ganzes Schulgeld verzockt und dann tagsüber geschlafen“, erzählt Liu Zhijiang, der im chinesischen Informationszentrum fürs Internet zuständig ist. Fortan will die Regierung Ernst machen mit beschränkten Öffnungszeiten, Glücksspiel- und Gewaltvideoverbot. Dabei droht eine Verstärkung der längst vorgeschriebenen Kundenüberwachung. Auch Zhao Hong und seine Mitarbeiter mussten neue Software installieren, die eine Verfolgung von Surfwegen der Nutzer erlaubt. Auch werden Namen, Telefon- und Personalausweisnummern der Gäste per Computer erfasst, auf den die Polizei direkten Zugriff hat. So können unliebsame Surfer und „subversive Aktivitäten“ aufgespürt werden, wie der amtliche Ausdruck lautet, Die kommunistische Regierung fürchtet sich vor Meinungsvielfalt, die auch auf chinesischsprachigen Webseiten mehr und mehr die Oberhand gewinnt. Auch verbotene Bücher und oppositionelle Essays gibt es zum Herunterladen.

Kontrolle ist besser

Deshalb nutzen die Behörden die Restrukturierung der Internetcafészene für eine verschärfte Kontrolle. Nach den am 1. August in Kraft getretenen Vorschriften drohen Betreibern Strafen von 5.000 bis 50.000 Yuan (600 bis 6.000 Euro), wenn sie auf ihren Seiten keinen Lizenznachweis angeben. Für verbotene Inhalte müssen die Firmen mit Strafen in fünf- bis zehnfacher Höhe ihres Einkommens oder gar mit Schließung ihres Netzangebots rechnen.

Aber Chatrooms und Bulletinboards sind aufgrund von Geschwindigkeit und Informationsfülle kaum noch kontrollierbar. Chinas Internetgemeinde hat gigantische Ausmaße erreicht. Seit Jahresbeginn hat sich laut dem chinesischen Informationszentrum fürs Internet die Zahl der Websurfer um mehr als ein Drittel erhöht. Ende des Jahres 2001 waren 33,7 Millionen, mittlerweile sind rund 46 Millionen Chinesen online. 16,1 Millionen haben bereits einen Computer mit eigenem Netzzugang. 40 Prozent der Surfer sind 24 Jahre oder jünger.

Es ist deshalb fraglich, ob ein Zutrittsverbot für Minderjährige in Internetcafés durchsetzbar ist. Andernorts haben sich solche Vorschriften und Verbote als wirkungslos erwiesen. Die Tageszeitung Legal Daily weist darauf hin, dass das schon lange exitierende Zutrittsverbot für Minderjährige in Spielhallen zu Makulatur verkommen sei. Die Jugendlichen sind die wichtigste Einnahmequelle für die Betreiber, und die Zustimmung der zuständigen Behörden wird erkauft. Zudem hätten auch Jugendliche ein Recht auf die Nutzung von Informationsangeboten in den Internetcafés: „Die Schließung ist keine Lösung“, meint auch Liu Zhijiang. Für einen verantwortungsvollen und kreativen Umgang mit dem Internet seien das Bildungssystem und die Famile verantwortlich.

Das meint offiziell auch die Partei. Staats- und Parteichef Jiang Zemin bezeichnet das World Wide Web als „Motor der Entwicklung“ für China. Und man spricht davon, dass Chinesisch irgendwann die virtuelle Welt dominiert. Doch das liegt wohl nicht in den Händen der chinesischen Regierung. Sie begreift erst allmählich die Realitäten des Internets, denen die Partei nur hinterherlaufen kann.

blume@taz.de