Die Bahn baut auf – den Kanzler

Auf eine Milliarde Euro beziffert Bahnchef Mehdorn die Hochwasserschäden. Gerhard Schröder spielt den Familienvater und will sie bezahlen

aus Berlin HANNES KOCH

Ein alter DDR-Witz sagt: „Was heißt ZDFARD? Antwort: Zentrales Deutsches Fernsehen außer Raum Dresden“. Mit dem Fernverkehr der Deutschen Bahn ist es jetzt genauso. Rund um die sächsische Hauptstadt läuft nichts. „Wir fahren weiträumige Umleitungen“, sagte Bahn-Chef Hartmut Mehdorn gestern.

Zusammen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, Verkehrsminister Kurt Bodewig und dem Chef der Eisenbahner-Gewerkschaft Transnet, Norbert Hansen, bilanzierte er die Schäden des Hochwassers und die Kosten. Weil die Fluten der vergangenen Wochen die Bahnanlagen in Dresden, besonders den Hauptbahnhof, massiv beschädigt haben, wird es dort auf absehbare Zeit keine Fernverbindungen geben. Wer nach Prag, Warschau oder Hamburg fahren will, muss immer zuerst nach Leipzig und dort umsteigen. Die bis zu 70 Güterzüge, die normalerweise die sächsische Wirtschaftsmetropole pro Tag passieren, nehmen große Umwege.

Ansonsten, so Mehdorn, würden die Fernzüge in Sachsen und Sachsen-Anhalt wieder rollen – wenn auch oft eingleisig und langsam. Der Bahnchef bezifferte die Gesamtschäden des Hochwassers gestern auf rund „1 Milliarde Euro“. 130 Kilometer Bahndämme seien unterspült, 94 Brücken kaputt, 10 komplett zerstört. Weitere Verluste: 700 Kilometer Geleise außer Betrieb, ebenso 25 Stellwerke und 240 Weichen. 200 Bahnhöfe haben Hochwasserschäden.

Das alles soll jetzt wiederaufgebaut werden. Es sei nicht beabsichtigt, sagte Mehdorn, unwirtschaftliche Strecken, die die Flut zerstört hat, gleich ganz zu schließen. Derartiges hatte die sächsische Landesregierung ins Gespräch gebracht. Davon distanzierte sich Mehdorn, wollte freilich für die Zukunft keine Garantien geben: „Später werden wir sehen, was man anders machen kann.“

Bundeskanzler Schröder und Verkehrsminister Bodewig (beide SPD) haben der Deutschen Bahn die Zusage gegeben, dass sie mehr oder weniger alle Schäden des Hochwassers aus öffentlichen Mitteln begleichen. Schröder schränkte zwar ein, dass auch die privaten Versicherungsunternehmen gefordert seien, doch die dadurch abgedeckten Summen sind nicht gerade hoch.

Von den 1 Milliarde Euro Kosten, die in den nächsten zweieinhalb Jahren entstehen werden, wird die öffentliche Hand zunächst ca. 650 Millionen zahlen. Die Mittel sollen aus dem 7-Mrd.-Euro-Fonds fließen, der aus der Verschiebung der eigentlich für Januar 2003 geplanten Steuererleichterung gespeist wird.

Das restliche Geld wollen Bund und Bahn bereitstellen, indem sie gemeinsam beschließen, welche Investitionsprojekte gestreckt oder verschoben werden können. Deshalb, so Mehdorn, könne es beim Ausbau der Bahntrassen rund um Nürnberg oder an anderen Stellen zu Verzögerungen von ein paar Monaten kommen. Grundsätzlich würden aber alle Projekte realisiert – auch die teure und umstrittene Magnetschwebebahn im Ruhrgebiet.

Transnet-Vorsitzender Hansen erneuerte seine Kritik am Transrapid-Projekt gestern nicht. Er war froh, dass Schröder und Bodewig – Wahlkampf sei Dank – ihn gegenüber Mehdorn in der Forderung unterstützten, bis 2006 keine Bahnbediensteten zu kündigen. Einige Jobs könnten auch dadurch gesichert werden, dass die Bahn nun zusätzliche Arbeitskräfte in den Hochwassergebieten braucht, stellten die Herren bei ihrem gestrigen Treffen fest.

Schröder spielte die Rolle des Familienvaters, der seine Angehörigen angesichts der schwierigen Lage ermahnte, doch zusammenzuhalten und sich nicht zu streiten. Die Auseinandersetzungen unter den Ländern um die Verteilung der Mittel „bedaure ich außerordentlich“, erklärte der Kanzler. Er wandte sich damit unausgesprochen gegen den sächsischen Wirtschaftsminister Martin Gillo (parteilos), der 80 Prozent der Hilfsgelder für Sachsen beansprucht. Niedersachsens Ministerpräsident Sigmar Gabriel (SPD) musste sich von Schröder rüffeln lassen, weil er neue Finanzierungsvorschläge machte und damit den Eindruck erweckte, die vorhandenen Mittel reichten nicht aus.