Musik wie Mineralwasser

Das morgen beginnende Bremer Musikfest soll Übernachter und Junge an die Weser locken. Mit deutlich mehr Marketinggeld, großer Kampagne und neuem Image

Morgen sollen sie kommen: Die ersten der 23.609 potentiellen Musikfest-BesucherInnen. Zum Flanieren und Lauschenzwischen acht illuminierten Konzertorten in der Innenstadt (siehe Programmvorbericht vom 28.5.).

Möglichst viele sollen von weit her kommen, damit sie auch übernachten, essen, einkaufen und dergleichen, was die begehrten „regionalwirtschaftlichen Effekte“ erbringt. Schließlich wird das Festival nicht mehr wir früher auch vom Kultursenator, sondern nur noch von dessen Wirschaftskollegen Josef Hattig kofinanziert – mit 882.000 Euro jährlich.

Vergangenes Jahr kamen immerhin 43 Prozent von außerhalb, von denen allerdings nur knapp jeder fünfte mehr als 70 Kilometer zurückgelegt hatte – also als Übernachtungsgast in Frage kam. Die Konsequenz: Verstärkte überregionale Werbung. Schon länger war die mangelnde Ausstrahlung des Festivals beklagt worden.

Dieses Jahr ist die Bremer Marketing Gesellschaft (BMG) eingestiegen. Zusätzlich zum Musikfest-Werbeetat von 210.000 Euro hat die BMG für 150.000 Euro Plakate und Anzeigen schalten lassen. Besonders günstig: Die Verschiebung der Spacepark-Eröffnung, wodurch Werbekapazitäten frei wurden. Jedenfalls bekam das Musikfest einen prominenten Platz in der Zeitungsbeilage, die die BMG in 2,8 Millionen Exemplaren unter anderem im Ruhrgebiet verteilen lässt.

So viel Mühe muss Früchte tragen. In der Tat konnte Musikfest-Intendant Thomas Albert jetzt froh verkünden: „Noch nie lief der Vorverkauf so gut.“ 70 Prozent aller Karten seien bereits weg. Da ist es auch zu verschmerzen, dass die Gitter auf dem Marktplatz erst am 10. Oktober abgeräumt werden. Die Pflasterarbeiten vor dem Schütting sollen jedoch bis morgen abgeschlossen sein, so dass der Zugang zu den dortigen Konzerten frei ist.

Die BesucherInnen sollen nicht nur zahlreicher und weitgereister, sie müssen auch jünger werden. Ein Gutachten des Berliner Instituts für Kulturmarkforschung hatte den bisherigen Durchschnitt von 52 Jahren als „tendenziell überaltert“ bezeichnet. Konsequent setzt das Musikfest auf ein neues Image: Die Kampage der beauftragten Agentur Kleiner & Bold unterscheidet sich deutlich von den gewohnten klassischen Künstlerporträts, vertraut auf Marktgängigeres.

Wer einmal das System der Datumsanzeige kapiert hat (ein ochsenblutfarbener Halbkreis und sein schwarzes Pendant bilden eine Art mechanischen Kalender) kann sich auf die lifestylige Ästhetik einlassen: Große Weinflaschen, kubanische Autos, Totenkopf-Stilleben, Mineralwasserlandschaft. Der Blick aus einem kühleleganten Hochhaus-Apartment, mit dem zum Beispiel für das Konzert von Paquito D‘Rivera geworben wird, könnte auch aus dem Katalog einer Möbelfirma für die gehobenen Ansprüche sein.

„Hören und gesehen werden“ – der plakatierte Slogan geht offensiver denn je mit der Tatsache um, dass das Musikfest auch eine gesellschaftliche Rolle spielt. Was nicht zuletzt für die zahlreichen sponsorenden Firmen wichtig ist.

Marketinghilfe kam auch von ganz oben: Kanzler Schröder gönnt dem Publikum per Programm-Grußwort sein Armani-Lächeln – und sich ein wenig Kulturweihrauch. Jetzt muss er nur noch in Bremen übernachten.

Henning Bleyl

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