Olle Hartz-Kamellen

betr.: Die Hartz-Kommission und „Sozialhilfe für Millionäre“, „Was hat Hartz mit uns zu tun?“, taz vom 17. 8. und 24./25. 8. 02

Liebe Hartz-SPD, vor lauter Aufregung um die Reduzierung der Arbeitslosenzahl habt ihr wohl folgende Seite eurer Zumutbarkeitskriterien völlig verschlampt:

1. Unternehmen ist es zuzumuten, bei ausgewiesenen Gewinnen auf Entlassungen zu verzichten.

2. Deutschen Firmen ist es zuzumuten, wieder verstärkt in Deutschland zu produzieren (Lohnkosten sind nur ein kleiner Teil der Produktionskosten)

3. Firmen, insbesondere Konzernen, ist es zuzumuten, wieder anständig ihre Steuern zu bezahlen und so ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden.

4. Aktionären und sonstigen Eigentümern an Produktionsmitteln ist es zuzumuten, auf uneingeschränkte Gewinnmaximierung zu verzichten.

Liebe Hartz-SPD, es war sicherlich nur ein Versehen, dass diese Punkte in eurem Papier nicht auftauchen, aber wenn ihr euch beeilt, könnt ihr das ja noch nachholen. Fordern und Fördern wolltet ihr doch beide Seiten – oder nicht? WOLFGANG LINDT, Fellbach

De-facto-Zwangsumsiedlung für junge Arbeitslose zerstört soziale Gefüge. Nochmals verschärfte Zumutbarkeit (vom Hochqualifizierten zum Tellerwäscher?) würde anderswo einen Generalstreik auslösen. Entscheidende Fragen bleiben ungestellt: Saßen eigentlich auch Arbeitslose im Hartz-Gremium? Warum war ein Industrievertreter federführend? Wo sind die Zumutungen für Arbeitgeber? Wird demnächst ein 60-Stunden-Job in zwei 30-Stunden-Jobs umgewandelt? Warum sind die Helden der New Economy besonders stolz darauf, Überstunden zu kloppen, während ihre Kinder vor der Glotze verblöden? Warum werden ältere Arbeitslose bei der Stellenvergabe diskriminiert?

Welche Risiken tragen „Ich-AG’s“? Wer fängt gescheiterte selbstständige Kleinstunternehmer auf? Das Sozialamt nicht, private Rücklagen werden als „Vermögen“ angerechnet. Schwarzarbeit ist häufig nur Zubrot und ließe sich nur selten in vollständige Selbstständigkeit umwandeln. Wer jedoch Scheinselbstständigkeit und Aushilfsjobs zur Regel machen will, vernebelt hier etwas. Überwiegend sind das olle Kamellen – in neudeutsche Managersprache verpackt. WERNER KÖHLER, Krefeld

In Berlin ist die neueste Masche auf dem Arbeitsamt, dass man/frau sich „coachen“ lassen soll, um an einen Arbeitsplatz zu kommen. Coachen gab’s früher ja nur für Führungskräfte, hier ist jedoch fraglich, ob das nicht eher die Überwachung sein soll. Denn gleichzeitig ist klar, dass ständig Arbeitsplätze abgebaut werden, ohne Trendwende. Natürlich coachen Akademiker und kriegen dafür gutes Geld vom Arbeitsamt, nicht etwa der/die Arbeitslose für eine gezielte Maßnahme eigener Wahl.

Danke Frau Herrmann: Selten findet man/frau es so ehrlich ausgesprochen wie hier: Ja, die Akademiker sind in unserem System sicherer gestellt, gerade weil sie diejenigen sind, die Probleme, wenn nicht lösen, so doch behandeln dürfen: ob in den NGO’s, welche ein Akademiker-Arbeitsmarkt sind, in der Publizistik, die sich mit den Themen beschäftigt, oder im akademischen Bereich selbst, wo darüber gelehrt wird. Oder dann eben als Coaches oder Sozialarbeiter oder Therapeuten, welche sich verstärkt um die gestrauchelte Human Resource kümmern dürfen. Einige der Hartz-Vorschläge sind nichts anderes als Auftragsbeschaffung für Akademiker. RUTH LUSCHNAT, Berlin

Der Dame, die die Frage „Was hat Hartz mit uns zu tun“ stellte, kann ich in ihrer Situation nur raten, sich dieses Hartz-Papier etwas genauer anzusehen: Die in der DDR gängige Praxis und vom freiheitlichen Westen stets als Zwangsarbeit verteufelte Verpflichtung zum Ernteeinsatz soll hiermit flächendeckend und übers ganze Jahr für die Arbeitslosen (4 Millionen!) eingeführt werden. Kernpunkt dieses Papiers ist nämlich, eine ganz perfide Form der Leibeigenschaft in der Bundesrepublik einzuführen.

Arbeitslosen wird in Zukunft jedes Recht auf Selbstbestimmung und Freizügigkeit genommen. Sie haben keinen Einfluss mehr auf ihren Arbeitsplatz und somit ihren Lebensmittelpunkt und auch keinen auf ihren Verdienst. Darüber bestimmen nur noch die in Leiharbeiterunternehmen umgewandelten Arbeitsämter und die Arbeitgeber, bei denen sie zum Einsatz kommen.

CONSTANZE KUBE, Berlin

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