Kein Sonderrecht für Priester

Umfrage bei deutschen Bistümern: In 30 Jahren kam es zu mindestens 47 Sexualdelikten an Kindern. Tatsächliche Zahl der Missbrauchsfälle dürfte sehr viel höher liegen. Katholische Bischofskonferenz will sich auf Regeln bei einem Verdacht einigen

von PHILIPP GESSLER

Erstmals liegen halbwegs verlässliche Zahlen vor, wie oft Kinder und Jugendliche durch katholische Priester oder andere Kirchenmitarbeiter sexuell missbraucht worden sind. In einer aufwändigen Untersuchung hat der Südwestrunkfunk die 27 katholischen Bistümer in Deutschland befragt. Ergebnis: In den vergangenen 30 Jahren hat es mindestens 47 sexuelle Übergriffe auf Kinder und Jugendliche gegeben. Nur sechs Bistümer erklärten, dass ihnen keine Fälle bekannt seien. Sechs weitere konnten oder wollten keine genauen Angaben machen. Die Zahlen sind brisant, da es bisher lediglich Schätzungen gab – allerdings lagen sie bedeutend höher: So erklärte etwa der Essener Weihbischof Franz Grave vor kurzem öffentlich, er gehe davon aus, dass von den insgesamt etwa 18.000 Priestern in Deutschland zurzeit 200 bis 300 in Fälle von Pädophilie verwickelt seien. Harte Zahlen aber sind auch deshalb so schwer zu ermitteln, weil die Bischofskonferenz, der Zusammenschluss der Diözesen in Bonn, bisher keine eigenen Erhebungen vorgenommen hat.

Die Debatte über sexuellen Missbrauch in der Kirche war im Frühjahr entbrannt, nachdem Übergriffe in den USA bekannt geworden waren. Der Papst forderte die Amerikaner auf, gegen verdächtige Priester härter vorzugehen. Bis dahin hatten sich die Bischöfe nicht selten darauf beschränkt, Täter zu versetzen, wenn in den Gemeinden Missbrauchsvorwürfe laut wurden.

Mitte April hatte dann der „Ständige Rat“ der Bischofskonferenz in Würzburg darüber beraten, wie mit sexuellem Missbrauch umzugehen sei. Die Bischöfe konnten sich jedoch nicht auf verbindliche Regeln einigen. Daher war dies erneut Thema, als sich der Ständige Rat Anfang dieser Woche in Würzburg traf. Die katholische Basisvereinigung „Wir sind Kirche“ hielt währenddessen eine Mahnwache ab und verteilte einen Brief an die Bischöfe: Alle Missbrauchsfälle – auch zurückliegende – seien zu überprüfen. Bei begründetem Verdacht müssten die Priester angezeigt und beurlaubt werden. Die Kirchenreformer drängten ferner auf Ombudsstellen, um Opfer unabhängig beraten zu können. Außerdem verlangten sie eine wirksame Prävention und eine Reform der Priesterausbildung. Die Bischöfe wollen nun auf ihrer Herbstversammlung am 23. September über gemeinsame Leitlinien der Prävention und des Umgangs mit pädophilen Priestern entscheiden.

Doch auch wenn die formalen Regeln noch fehlen: Die deutschen Bischöfe würden schon jetzt „weitgehend einheitlich“ beim Verdacht des sexuellen Missbrauchs verfahren – so die Sprecherin der Bischofskonferenz, Martina Höhns, zur taz. Der Beschuldigte werde sofort beurlaubt und Kontakt sowohl mit den Opfern wie den Ermittlungsbehörden aufgenommen. „Jeder Fall ist ein Fall zu viel“, betonte Höhns, „für die Opfer ist der Schaden nicht wieder gutzumachen.“ Es gebe „kein Sonderrecht in der Kirche“. Auch für Priester gelte: „Unrecht muss bestraft werden.“

siehe Bericht Medien SEITE 18