„Verhalten der EU zeugt von Schlafmützigkeit“

Statt 15 Prozent neue Energien festzuschreiben, hätte ein „akzeptableres Ergebnis“ erzielt werden können, kritisiert Energieexperte Singer

taz: Energie ist eines der Hauptthemen des Gipfels. Wie bewerten Sie die Vorschläge, die jetzt – nach der ersten Verhandlungsrunde – auf dem Tisch liegen?

Singer: Die Europäische Union hat vorgeschlagen, bis zum Jahre 2010 sollten 15 Prozent der weltweit produzierten Energien aus erneuerbaren Energiequellen stammen, davon 2 Prozent für die Industrieländer. Wir sind jedoch schon bei 14 Prozent weltweit angelangt und hatten deshalb gehofft, dass die Europäer die Messlatte von vornherein höher angelegen, damit am Ende ein akzeptables Ergebnis herauskommt. Doch das Verhalten der EU zeugt von Schlafmützenhaltung und zeigt, dass das Thema nicht als Schwerpunkt betrachtet wird. Der Block USA, Japan, Kanada und Australien hat ein Ja zu erneuerbaren Energien signalisiert, doch weder einen Zeitrahmen für einen Ausbau noch Ziele festgelegt. Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Umweltverbände.

Dabei gibt noch einen ambitionierteren Vorschlag …

Ja, es ging dabei um die Marke von 10 Prozent umweltverträglichere Energie – ausgenommen große Staudämme. Dazu wäre ein Prozentsatz an Biomasse gekommen, über die man nochmal hätte reden müssen. Doch diese Option, die wir befürwortet haben, ist vom Tisch.

Was sagen Sie dem Umweltminister, wenn er am Freitag nach Johannesburg kommt?

Auch er hat die Sache verpennt. Die deutsche Delegation hat geduldet, dass Wasserkraft aus großen Staudämmen immer noch diskutiert werden konnte, obwohl in Westeuropa schon längst kein Potenzial mehr für Großwasserkaft besteht und die Begradigung von Flussbetten mit zur Flutkatastrophe der Elbe geführt hat.

Ist die Verweigerung von konkreten Zielsetzungen der Hardliner-Staaten ausschließlich mit Mangel an politischem Willen zu erklären?

Bei den USA ist es klar: Wir brauchen gar nicht zu hoffen, dass sie auf den Zug aufspringen werden. Die Japaner sind knallharte Ökonomen – sie wollen angesichts ihrer Wirtschaftskrise nicht einen Pfennig mehr als notwendig ausgeben. Und deshalb natürlich auch keine Verpflichtungen eingehen.

Wie groß ist der Einfluss der Opec-Staaten auf dem Weltgipfel? Venezuela hatte ja angedeutet, stärker auf erneuerbare Energien zu setzen – könnte die Opec-Linie grüner werden?

Weit gefehlt. Der Westen ist ölabhängig und die Opec hat erst unlängst den Preis von 8 Dollar pro Barrel auf 26 Dollar erhöht. Sie halten eisern am Geschäft fest. Venezuela hat zwar intern Andeutungen gemacht, ist jedoch kein arabisches Land und wird von der Identität her stärker mit Lateinamerika und Brasilien mitziehen als mit der Opec.

Könnte Südafrika in Zukunft auch auf erneuerbare Energien – wie Sonne, Wind und andere – umstellen?

Es ist möglich, doch es fehlt noch sehr an Aufklärung und Finanzen. In der Anschaffung sind erneuerbare Energien zwar teurer, doch man zahlt nur einmal für die Solaranlage. Hier müsste es zinsgünstige Kredite geben und die Herstellung der Technologie sollte im Land stattfinden und nicht importiert werden. Doch es gibt schon Beispiele wie den Spezialkocher, der mit Biomasse wie Holzabfällen effizienter betrieben wird. In Südafrika ist jedoch der Energiegigant Eskom stark an Kohle und Atomenergien aus Profitgründen interessiert.

Die Fachminister werden jetzt über die Vorschläge weiterberaten. Gibt es eine Chance, dass sich noch etwas bewegt, oder ist die ganze Debatte und damit das Gipfelergebnis festgefahren?

Konkrete Inhalte werden den Bach runtergehen. Aber immerhin werden multilaterale Prozesse in Gang gebracht, das müssen wir trennen. Wir können die Erde nicht in zehn Jahren von Rio bis Johannesburg retten. Aber die Debatten sind dennoch wichtig. Ein Fehler ist in Johannesburg gemacht worden: Es gibt keine Konventionen wie in Rio zum Artenschutz und Klima oder Agenda 21. Es müssen jedoch Aktionspläne festgelegt werden, damit die Länder konkret weiterarbeiten können. Dann müssen Nichtregierungsorganisationen später Schlupflöcher im verabschiedeten Text nutzen, das ist unsere Aufgabe.

INTERVIEW: MARTINA SCHWIKOWSKI