Darf ich mal anfassen?

Sport lehnt er ab. Nur tanzen nicht. Für den Folkball-Initiator Franz Josef Krafeld löst das Blockaden, macht warm, ist politisch. Damit bringt der Pädagogik-Professor auch rechte Jugendliche in Springerstiefeln zum Volkstanz – und zum Nachdenken.

an fühlt sich erinnert an die schlabberlässigen Siebziger des politischen Aufbruchs: Batikhemd. Dabei fusseln ihm die Haare schon schlohweiß um das Haupte. Professor Doktor der Erziehungswissenschaft im Fachbereich Sozialwesen an der Hochschule Bremen ist er und produziert Buchtitel wie „Modelle sozialer Arbeit mit marginalisierten Jugendlichen“. Im ‘Nebenberuf‘ ist Franz Josef Krafeld Fachmann für aktuelle Lustbarkeiten der Globalisierung: Weltweite Tanzbewegungen. Unter anderem leitet er die Volkstanzgruppe im Schlachthof und den Folkball im Bürgerhaus Weserterrassen. Die taz sprach mit ihm über Folkkulturen.

taz: Herr Krafeld, dürfen wir Sie eigentlich Tanzprofessor nennen?

Franz Josef Krafeld: Nein, ich versuche meinen Beruf, die Beschäftigung mit rechtsextremistischen Randalejugendlichen, konsequent vom Folktanzbereich zu trennen.

Hat Ihnen die Kopfarbeit an der Uni nicht mehr gereicht, so dass Sie ihr Körpergefühl mit dem Tanz zurück entdecken wollten?

Das ging viel früher los. Meine Familie lebte in bündischen Zusammenhängen, so dass ich das Wandervogel-Liedgut quasi in die Wiege gelegt bekommen habe. Erst in meiner Jugendzeit wurde mir deutlich, was für schlimm nationalistische, militaristische, teilweise faschistische Texte das waren. Danach habe ich mich der irischen und schottischen Folklore zugewandt, da ich die Texte nicht verstand und davon ausgegangen bin, sie seien ideologisch nicht so belastet. Mit 16 sah ich dann ein Konzert mit Hein und Oss, die ja im Haus Blomendal Lieder der 48-er Revolution gespielt haben. Ein echtes Aha-Erlebnis: Es gibt in der deutschen Volksmusik nicht nur Rumtata, Hetzerei und Schäferromantik, sondern auch eine politisch engagierte, sozial kritische Tradition.

Ist ihre Begeisterung als Widerspruch zu der Musik zu verstehen, mit der sie groß wurden?

Nein, der Widerspruch war schon in meiner Familie vorgeprägt, die mütterlicherseits im Widerstand, väterlicherseits aus religiösen Gründen klar oppositionell zum Nationalsozialismus eingestellt war. Meine Eltern gehörten einem sehr kleinen demokratischen Flügel der bündischen Jugendbewegung an, die auch nach 1933 das Widerständige pflegte, ohne auf die furchtbaren Lieder zu verzichten.

Das klingt, als hätten Sie aus der Beschäftigung mit Ihrer eigenen Jugend ihren Beruf und auch ihr Folk-Hobby entwickelt?

Das war der Auslöser, um mich Ende der 70er intensiv mit dem Archiv der Deutschen Jugendbewegung zu beschäftigen. . .

. . . die ja auch eine Bewegung der Folkmusik ist.

Bei den Tagungungen trafen sich alte und junge Bündische, es gab erschütternde Szenen bei der Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit und rührende Sympathie für das gleiche Liedgut. Da habe ich mit all dem noch einmal gebrochen.

Aus ideologischen Gründen sind sie zum Freund internationaler Folktänze geworden?

Als Fortsetzung meines Interesses für die Jugendbewegung. Mitte der Siebziger war ich auf den Folkfestivals mit so einem alternativen Touch und Flair, so einem diffusen Gefühl von Wir-sind-alle-progressiv-und-links.

Und auf der Suche nach einer Tradition, die vom Faschismus nicht gekappt worden war?

Ja, über die auf den Festivals produzierten Texte wurde wieder ein Bezug zur Geschichte hergestellt. Und gleichzeitig auch die Widersprüchlichkeit, wenn wir dann abends im Suff die „Moorsoldaten“ gröhlten.

Wann wurde das politische Bewusstsein tanzbar?

Während man sich sonst über den Inhalt der Texte mit den Songs identifizierte, boten auf den Festivals Gruppen einfache Tänze zum Mitmachen an, das faszinierte mich, weil dabei ganz schnell ganz viel Kontakt zu ganz vielen Leuten entstand, ein Gemeinschaftsgefühl, eine intensive soziale Kommunikation ohne Worte.

Das wurde doch geradezu zu einem Vorbild für ihre Arbeit, als sie in den Achtzigern mit einem Tabu der Jugendarbeit gebrochen haben?

Ja, nazifreie Zonen sollten damals geschaffen, Jugendliche ausgegrenzt werden. Ich galt als Natinalsozialarbeiter, weil ich Projekte mit Skins durchführte, Kontakt, soziale Kommunikation herstellte. Und ob sie es glauben oder nicht, ich kenne eine Gruppe betreuter Neonazis, die mit Anleitung einen Volkstanzkurs absolvierte.

In Springerstiefeln?

Ja. Das war ihre Sicherheit. Und sie tanzten auch nur mit Jungen. Zum Üben. Wochenlang.

Also doch eine Einheit von beruflichem und privatem Interesse?

Ich könnte mir solche Projekte vorstellen. Gerade auch, weil ich meine, politische Auseinandersetzung müsse Spaß bringen.

Sonst lohnt sie nicht?

Genau. Ich erinnere mich an 1983, ich als Aktivist der Friedensbewegung. Bei Vorübungen zur Atomwaffenlagerblockade in Bremerhaven Mitte September hatte ich meinen Cassettenrekorder mitgebracht, damit wir uns nicht den Hintern kalt sitzen, sondern tanzen. Einige protestierten vehement, weil der politische Ernst damit kaputt gemacht würde, andere hatten Lust. Das waren ausgerechnet die Anarchos. Mit denen gründete ich meine erste Gruppe.

Später initierte ich Reihentänze bei der Bombenzugblockade an der Strecke Hude-Nordenhamm am Bahndamm entlang. Da kam gerade Christine Bernbacher im dicken Pelz vorbei mit Anton, ihrem Dackel, und hat sich eingereiht. Das war faszinierend. Oder bei der Mannöverblockade in Hildesheim, da haben wir zwischen den Panzern getanzt. Und gerade deswegen war es eine erfolgreiche Demo.

Wie setzt man die Leute in Bewegung?

Man hat immer ein paar dabei, die ich kenne und vorher angesprochen habe, die einfach anfangen und auch nicht aufgeben, wenn andere nicht mitmachen wollen.

Und wie animiert ein Eintänzer?

Man muss vermitteln, wie bei den Blockaden, tanzen macht warm. Oder jetzt beim Folkball: Man darf sich beim Tanzen anfassen, auch das andere Geschlecht. Das reizt doch.

Warum leiten sie solche Gruppen?

Weil ich regelmäßig tanzen wollte, aber keine Gruppe fand hier in Bremen, wo ich seit 1979 wohne. Nur Sport- und Heimatvereine, Tanzschulen, Uniform- und Trachtengruppen. Damit habe ich nichts am Hut. Und dann die Balkan-Leute, die aus der gymnastischen Leistungstradition kommen. Sport aber lehne ich ab.

Wie stehen sie zu aktuellen Tanztrends?

Techno ist für mich ganz wichtig. Bis Mitte der 90er bin ich ins Stubu und Modernes zum Abtanzen gegangen. Bis ich merkte, dass all die anderen meine Kinder sein könnten. Heute gehe ich eher in rauchfreie Discos, wo leider nie Techno gespielt wird.

Aber Techno ist doch eine ganz andere Art des Tanzens: extrem individualistisch, meditativ.

Ich bin inzwischen verschrien, dass ich auf der Gleichmäßigkeit eines Techno-Rhythmus gerne Polka tanze oder einfache Jigs und Reels.

Lernen sie eigentlich die Tänze vor Ort?

Ethnische Authentizität interessiert mich nicht, nur das, was wir uns für unser Leben aus den Tänzen holen. Deswegen darf man bei mir auch jeden Tanz bis zur Unkenntlichkeit verändern.

Tanzen sie daheim?

Ja, zu Rockmusik. Zum Austoben, locker werden, Spannungen, Aggression abbauen.

Und ihre Familie zappelt mit?

Klar. Mein jetzt vierjähriger Sohn tanzt auch schon immer im Tragetuch auf allen Veranstaltungen mit.

Welches sind die einfachsten Tänze?

Die im Kreis. Man braucht keinen Partner, hat eine guten Gruppenzusammenhang, einfache Lauf- und Gehschritte – und mal eine Zwischenphase mit Power und Action: auf einander zu rennen, dann brüllen und schreien.

Demnächst mit Skins?

(Hellblau strahlen Krafelds aufgerissene Augen, seine Hände tanzen durch die Luft) Warum nicht!?

Fragen: Jack „CanCan“ Kröher

Kontakt: Franz Josef Krafeld, Telefon: 0421 / 89 12 84, Mail: krafeld@fbsw.hs-bremen.de