Indiens Alpen

Neu im Kino: Der Bollywood-Schmachtfetzen „Chori Chori Chupke Chuke“. Das ist ein bisschen wie „Pretty Woman“

Melodramen haben zur Zeit auch international großen Erfolg. „Lagaan“ war für den Oscar nominiert, mit „Monsoon Wedding“ wurde ein Film dieses Genres zum ersten mal in Venedig auf einem A-Festival ausgezeichnet. Und nicht nur in Großbritannien gibt es immer mehr Kinos, die Bollywoodschinken spielen. Endlich zeigt nun auch das Kino 46, einige ebenso vitale wie triviale Werke der indischen Filmindustrie, die mit 800 Filmen pro Jahr mehr produziert als Hollywood. In dieser Woche „Chori Chori Chupke Chupke“ aus dem Jahr 2001 und ab dem 5.9. dann „Dil Se – From the Heart“.

„Chori Chori Chupke Chupke“ bietet für ein westliches Publikum einen guten Einstieg, weil hier vieles uns Bekanntes einer radikalen Indianisierung unterworfen wurde. Der Film ist wie eine indische Version von „Pretty Woman“, in der die Julia Roberts von Bombay als Leihmutter in den Schweizer Alpen tanzt.

Tanz und Gesang sind überhaupt das Wichtigste in diesen Melodramen. In jedem Akt muss es mindestens eine große Shownummer geben, und diese sind jeweils Orgien des Kitsches. Das indische Kino fußt auf den indischen Mythen mit ihren vielen Gottheiten und Idolen, deshalb werden die Helden tatsächlich von der Kamera vergöttert.

Das indische Paradies liegt in kühlen Berghängen. Früher wurden deshalb viele Showszenen in Kaschmir gedreht, und als das wegen der politischen Spannungen unmöglich wurde, zogen die Filmteams aus Bombay in die Schweizer Alpen. In „Ch.Ch. Ch.Ch“ wurde diese Kulisse sogar zum Handlungsort, in den ein surreales indisches Paradies gebastelt wurde.

Ähnlich seltsam sind für unsere Augen auch die Bezüge zu „Pretty Woman“. Zwar handelt „Chori Chori Chupke Chupke“ von einem glücklichen Ehepaar, aber das kann nach einer Missgeburt keine Kinder mehr kriegen. Der nette Patriarch der Familie droht deshalb an gebrochenem Herzen zu sterben, also sucht sich das Paar eine nette Prostituierte, die als Leihmutter ein Kind für sie gebären soll.

Wer weiss, wie keusch und konservativ das indische Massenkino ist, kann sich über solch eine gewagtes Thema nur wundern. Aber der Regisseur Abbas Alibhai Burmawalla umschifft sehr geschickt jede unsittliche Untiefe. Auf indischen Leinwänden darf etwa kein Filmkuss gezeigt werden, also küssen sich die Liebenden, immerhin auf ihrer Hochzeitsreise, durch eine Fensterscheibe, auf der ihr Lippenstift zurückbleibt.

Die junge Prostituierte darf nicht wie Julia Roberts die Heldin des Films sein, soweit ist Bollywood noch nicht, sondern sie ist die zweite Frau, die zur guten Freundin wird und sich schließlich für das (göttliche) Paar glücklich aufopfert. Sie ist nicht so schön wie die Ehefrau, und hat eine deutlich dunklere Hautfarbe – die Hierarchie wird also bei aller Modernität gewahrt.

Witzig sind die paar frech direkt aus „Pretty Woman“ geklauten Szenen, aber es ist schwer zu unterscheiden, ob sie gelungene Parodien oder unfreiwillig komisch sind. Wie bei allen Genres muss man erst einige Filme gesehen haben, um die Konventionen, Klischees, Bezüge, und Ironisierungen erkennen, schätzen und würdigen zu können. Aber auch für Novizen ist dieser Film nie langweilig, und das trotz seiner 166 Minuten. All das Gesinge und Getanze braucht halt seine Zeit.

Wilfried Hippen

„Chori Chori Chupke Chupke“ läuft täglich bis Dienstag um 20. 30 Uhr im Kino 46 (OmU).