Und ab durch die Mitte

Blick in die Wahlkreise, Teil 1: Zwischen Gendarmenmarkt und Wedding versucht der frühere CDU-Generalsekretär Volker Liepelt seit Monaten, eine schier uneinnehmbare SPD-Hochburg zu stürmen

von STEFAN ALBERTI

Er hat zu fast allem eine Meinung. Weltpolitik und Bush-Besuch. „Wowereit muss zurücktreten“ – mal vom Amt und mal vom Reisen, um wiederum das Amt auszufüllen und Big Bush die Hand zu schütteln. Brandenburger Tor? „Mit PDS und Strieder fließt der Verkehr nie wieder.“ Integration? „Multikulti hat sich vielerorts fehlentwickelt.“ Volker Liepelt, 54, CDU-Bewerber in Mitte, ist der wohl umtriebigste der 98 Berliner Direktkandidaten für den Bundestag. Das hat seinen Preis. Sogar Parteifreunde spötteln, der Liepelt schütte alle mit Pressemitteilungen zu. „Der muss überall seinen Senf dazugeben“, so klingen weniger wohlmeinende Statements. „Liepelt? Wer ist Liepelt?“, höhnte gar der Regierende Bürgermeister auf die Kritik an seinen Reiseplänen.

Volker Liepelt, 54, scheint das nicht sonderlich anzufechten. Nicht im Mai, als ihn Wowereit abwatschte, nicht jetzt. Und inzwischen greifen auch andere seine Kommentare auf. Als Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland vor zwei Tagen im Abgeordnetenhaus darstellen wollte, wer in der CDU inzwischen für höhere Energiepreise plädiert, spannte er den Bogen von Liepelt-Zitaten bis hin zu solchen Klaus Töpfers, des früheren Bundesbauministers und heutigen UN-Direktors.

Wieland hat Liepelt gut im Blick, schließlich ist er einer der Gegenkandidaten in Mitte, diesem Mischmasch aus Schickimicki, Politflair und Drogenmeile. Der Grüne Wieland und ein weiterer Spitzenmann aus dem Berliner Politbetrieb sind es, die den Wahlkreis zu einem der am prominentesten besetzten machen. Auch PDS-Mann Stefan Liebich, Landesparteichef und künftig auch Fraktionschef, tritt hier an.

Liepelts Umtriebigkeit ist der Versuch, eine Politikerkarriere fortzusetzen, die nach der Abgeordnetenhauswahl 2001 abrupt abbrach. Liepelt, seit seinem 33. Lebensjahr fast ununterbrochen im Berliner Abgeordnetenhaus, war CDU-Generalsekretär und ab 2000 eineinhalb Jahre Wirtschaftsstaatssekretär.

Keiner sah voraus, dass sich Liepelt diese Chance in Mitte eröffnen würde. Eberhard Diepgen, geschasster Regierender Bürgermeister, war hier schon als Direktkandidat gewählt und wollte seine Karriere im Bundestag ausklingen lassen. Dass das unbedingt im Vorzeigewahlkreis Mitte und als Spitzenkandidat der Berliner CDU geschehen sollte, vergrätzte jedoch die Mehrheit in der Union: Bei der Nominierung im Februar ließ die Partei Diepgen durchfallen. Der trat sofort als CDU-Landeschef zurück und gab wenige Tage später auch seine Direktkandidatur auf. Mitte März wurde Liepelt Kandidat und tourt seither durch den Wahlkreis. Über 80 Kilometer, erzählt er bei einem Termin, sei er schon zu Fuß unterwegs gewesen, zwei komplette Marathons. Als er drei Wochen später bei der CDU-Kandidatenvorstellung wieder davon erzählt, sind es erstaunlicherweise nicht mehr geworden.

Liepelts Bemühungen sorgen umso mehr für Kopfschütteln, weil sie als aussichtslos gelten. Kein Wahlkreis geht nach bisherigen Berechnungen so sicher an die SPD wie dieser. Auf die erneuerten Wahlkreisgrenzen umgerechnet, bekam die CDU 1998 hier nur 21,2 Prozent, weniger als halb so viel wie die SPD. Fast 37.000 Stimmen lagen damals zwischen SPD und CDU. Liepelt selbst meint, er müsse der SPD nur 7.000 Stimmen abnehmen, und bezieht sich dabei auf das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl 2001. Der stellvertretende Landeswahlleiter Horst Schmollinger sieht solche Betrachtungen skeptisch: Berlin wähle bei Bundestagswahlen deutlich anders als auf Landesebene.

Zu Liepelt scheint auch das nicht durchzudringen. Er gibt sich hoffnungsvoll. „Ich wollte Ihnen mal meinen Wahlkreis zeigen“, sagt er er bei einem Pressegespräch hoch über dem Potsdamer Platz im Sat.1-Ballon. Vielleicht muss einer in seiner Lage ein Meister der Autosuggestion sein. Für ihn geht es um alles oder nichts. Die nächsten Berliner Wahlen kommt voraussichtlich erst 2006. Er ist dann 58. Zu alt für ein Comeback nach knapp fünf Jahren Parlamentspause. Gewinnt er nicht den Wahlkreis, ist es mit seiner Chance vorbei, denn auf der Landesliste der Partei ist er nicht abgesichert. Die Rahmenbedingungen müssten stimmen, dann könnte es klappen, sagt er.

Zu diesen Rahmenbedingungen gehört auch Frank Steffel, CDU-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus und Berlins unbeliebtester Politiker. Lässt er den für sich werben, so wie auch die Parteichefin Angela Merkel, die er für einen Termin holte? „Einen Mann wie Steffel kriegen Sie nicht in die hintere Linie verbannt.“

15.000 Euro steckt Liepelt nach eigenen Angaben selbst in den Wahlkampf. 90 Prozent seines Etats sollen das sein, nur ein Zehntel komme vom Kreisverband Mitte der CDU. Wenn Mitte am 22. September nicht sein Wahlkreis wird, will er seine 1998 eingegangene Marketingfirma wieder aufbauen. Das Übergangsgeld als Exstaatsekretär sichert ihn finanziell noch bis 2003 ab.

Der Mann, den er besiegen muss, wirkt gemütlich. Sein Buchhaltergesicht passt zum Job des Finanzpolitikers der SPD-Bundestagsfraktion. Jörg-Otto Spiller, 60, war jahrelang Bezirksbürgermeister von Wedding, dort, wo – noch – die Berliner SPD-Zentrale zu Hause ist. Parteichef Peter Strieder will weg aus dem Kurt-Schumacher-Haus. Spiller sagt, er würde dann dort weiter ein Büro mieten. „Ich bin hier richtig.“ Nein, sagt er, Liepelt mache ihn nicht nervös, trotz aller Medienauftritte und Pressemitteilungen. „Ich habe mich nie in die Medien gedrängt. Und das hat mir auch nie geschadet.“

Gleich gegenüber Spillers Büro steht das Weddinger Arbeitsamt. Hier spricht Kanzler Gerhard Schröder auf seinen Plakaten nur von sozialer Gerechtigkeit. Der Slogan „Das Ziel meiner Arbeit? Dass alle Arbeit haben“ ist hier nicht zu sehen. Spillers eigene Plakatierung und der sonstige Wahlkampf kosten 45.000 Euro, dreimal so viel wie Liepelts Etat. Spiller glaubt Liepelts Zahlen nicht, doch der rückt davon nicht ab und spricht von weniger aufwändigen Maßnahmen, etwa dem Verzicht auf Briefe an die Wähler.

Die Wahl könnte als gelaufen gelten, wären da nicht die besagten Polit-Promis. PDS-Landeschef Stefan Liebich und Grünen-Fraktionschef Wolfgang Wieland könnten als linke Zugpferde Stimmen von der SPD abziehen.

Für Wieland, den altgedienten Landespolitiker und Kurzzeitjustizsenator, ist es mit 54 Jahren die erste Kandidatur für den Bundestag. Nicht dass er an ein Direktmandat denkt – knapp 10 Prozent bekamen die Grünen hier 1998. Aber seine Kandidatur sollte den Grünen das Überleben sichern. Von einer Schicksalswahl hatte Wieland im Frühjahr mehrfach gesprochen, davon, dass alle Kräfte ranmüssten. Damals lagen die Grünen gefährlich knapp über der Fünfprozenthürde und mussten befürchten, aus dem Bundestag zu fliegen. „Jetzt sieht das ja nicht mehr so dramatisch aus“, sagt er. 15.000 Euro lassen sich die Grünen in Mitte seinen Wahlkampf kosten.

Wieland mag sich nicht den Kopf darüber zerbrechen, dass er Stimmen vom SPD-Mann und damit dem Partner auf Bundesebene abziehen könnte. „Mein politisches Schicksal ist nicht an Herrn Spiller geknüpft.“ Außerdem biete ja auch die SPD nicht an, in Kreuzberg auf einen Kandidaten zu verzichten, um den Grünen mit Christian Ströbele ihr erstes Direktmandat zu ermöglichen. „Ich glaube auch nicht, dass Herr Liepelt ein solcher Rechter wäre, dass man ihn unbedingt aus dem Bundestag raushalten müsste.“

PDS-Mann Stefan Liebich hatte sich eigentlich einen provokanten Wahlkampf versprochen. Er, der Landesvorsitzende der Sozialisten, wollte gegen Eberhard Diepgen als Chef der Hauptstadt-CDU antreten. „Dieses Duell machte für mich den Reiz der Kandidatur aus.“ Doch nicht nur diese Konstellation änderte sich. Liebich ist zukünftig nicht nur Parteivorsitzender, sondern auch Fraktionschef der PDS, weil Harald Wolf Wirtschaftssenator wurde.

Jetzt muss er den PDS-Wählern erklären, dass er eigentlich gar nicht in den Bundestag will. Von einem virtuellen Kandidaten spricht die CDU inzwischen. Tatsächlich sieht Liebichs Terminplanung vergleichsweise locker aus. Für die letzten fünf Wochen vor dem 22. September waren 20 Termine vorgesehen – so viel wie Liepelt teilweise in kaum einer Woche abreißt. Offizieller Wahlkampfauftakt seines PDS-Bezirksverbands, der seine Wahlkampfkosten mit rund 35.000 Euro angibt, ist erst heute auf dem Alexanderplatz.

Als Zeichen eines unengagierten Wahlkampfs mag Liebich das nicht gewertet wissen. Er sei halt stark in die aktive Politik eingespannt, anders als sein CDU-Gegner, der gestern in einer weiteren Pressemitteilung einen regionalen Zuzugsstopp für Ausländer forderte: „Dass Liepelt momentan viel Zeit hat, kann ich mir gut vorstellen.“