Grundschule mit Achtstundentag

Schulsenator Klaus Böger (SPD) verspricht 30 neue „gebundene Ganztagsgrundschulen“ bis zum Ende der Legislaturperiode. Allerdings ist das Konzept erst in der Vorbereitung und bislang weder klar, was es kostet, noch wie es finanziert werden soll

von VERENA MÖRATH

„Ich bekenne mich dazu, dass das Bildungssystem in Berlin dringend reformiert werden muss.“ Das Eingangsstatement von Schulsenator Klaus Böger (SPD) letzte Woche zur Pressekonferenz anlässlich des neuen Schuljahres bot – im Jahr 1 nach Pisa – keine wirklich neue Erkenntnis. Immerhin versprach Böger: „Nichts wird bleiben, wie es war!“

Einen wichtigen Baustein für zukünftige Reformen sieht Böger in der Qualitätsentwicklung der Grundschulen – dort wird, so eine Erkenntnis der Pisa-Studie, die Basis für das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler gelegt. Doch während sich die Bundesrepublik ein teures gymnasiales Oberstufensystem leistet, investiert sie in die Grundbildung im Vergleich wenig. So werden für einen Gymnasiasten durchschnittlich 5.100 Euro pro Jahr ausgegeben, für einen Grundschüler nur 3.500 Euro.

Große Sprachdefizite

Wie groß der Reformdruck im Bereich der Grundbildung ist, zeigen Resultate einer neuen Untersuchung in Berlin. Erstmals wurde hier eine Sprachstandsfeststellung unter Erstklässlern in vier Bezirken mit hohem Anteil an Schülern nichtdeutscher Herkunftssprachen durchgeführt. Diese Studie mit dem Titel „Bärenstark“ förderte gravierende Schwächen zu Tage: Knapp die Hälfte der Kinder mit Deutsch als Muttersprache haben demnach schlechte Sprachkenntnisse, 90 Prozent der Kinder nichtdeutscher Herkunftsprache benötigen Sprachförderunterricht.

Im nächsten Schuljahr wird „Bärenstark“ in allen Bezirken das Sprachvermögen von Erstklässlern testen, bereits im laufenden Schuljahr soll eine Zusatzstunde Deutsch in Klasse 2 erste Hilfe leisten.

Aufwändiger und teurer ist indes das Vorhaben, in Berlin bis zum Ende der Legislaturperiode 30 neue Ganztagsgrundschulen einzurichten. „Das Konzept ist erst in der Vorbereitungsphase“, so Böger, „aber wir müssen das Rad nicht neu erfinden.“ Wirklich brandneu ist das Modell der Ganztagsschule tatsächlich nicht. Dennoch ist ihm momentan ungeteiltes Lob sicher. Grund: In fast allen Ländern, die in der Pisa-Studie am besten abschnitten, werden die Schüler vor- und nachmittags betreut, und zwar sowohl in Grund- als auch in weiterführenden Schulen. So können Kinder in ihrer Entwicklung intensiver sozialpädagogisch begleitet werden. „Wichtiger denn je, weil die familiären und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sich zu Ungunsten der Erziehung verändert haben“, meint Ingo Strutz, Leiter der Möwensee-Ganztagsgrundschule im Wedding, „aber ein Allheilmittel ist die Ganztagsschule nicht.“

Dennoch sieht er Ganztagsangebote als eine wesentliche Hilfe für eine bessere Ausbildung und insbesondere für eine adäquate Förderung von sozial benachteiligten Schülern an. Auch die Lenau-Grundschule in der Kreuzberger Nostitzstraße macht gute Erfahrungen mit dem Ganztagsangebot: „Gerade für Kinder nichtdeutscher Herkunft ist es wichtig, dass sie länger in der Schule bleiben. Hier reden sie mehr Deutsch als zu Hause oder auf der Straße“, so die stellvertretende Schulleiterin Karola Klawuhn. „Wir denken, dass dieses Modell optimal ist für die Versorgung junger Kinder.“

Derzeit bieten mehr als ein Drittel der 462 Berliner Grundschulen eine Ganztagsbetreuung an. Damit schneidet die Hauptstadt im bundesweiten Vergleich am besten ab. Mehrheitlich handelt es sich dabei jedoch um das gängige Modell der offenen Ganztagsgrundschule: Am Vormittag wird gelernt, am Nachmittag übernehmen die Erzieherinnen. Die Teilnahme an Hausaufgabenhilfe und anderen Angeboten ist freiwillig. In der gebundenen Ganztagsgrundschule dagegen sind Unterricht und Freizeit, Wissensvermittlung und sozialpädagogische Betreuung miteinander verzahnt, Lehrer und Erzieher arbeiten gleichwertig zusammen. Alle Schüler verpflichten sich, die Schule ganztags zu besuchen. Nach diesem Konzept verfahren derzeit in Berlin nur 18 Grundschulen.

Teures Reformkonzept

Klar ist: Dieses pädagogische Ideal gibt es nicht zum Nulltarif. Nach Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaft (DIW) ist eine solche Grundschule um 40 Prozent teurer als die gängige Halbtagsgrundschule. Bislang haben Klaus Böger und seine Mitstreiter keine Gesamtkostenrechnung vorgelegt, aus der hervorgeht, wie teuer die „Aufrüstung“ von 30 Grundschulen letztlich sein wird. „Wünschenswert ist das, unstrittig“, so GEW-Vorsitzender Ulrich Thöne über das Reformprojekt. „Aber wie soll es möglich sein, Mittel freizusetzen, die davor nicht da waren? Wo wird dafür gekürzt?“ Nachvollziehbar ist diese Skepsis durchaus, zumal das zusätzliche Versprechen im Raum steht, sich flächendeckend verlässliche Halbtagsschulen mit Betreuungszeiten von 7.30 bis 13.30 Uhr zu leisten. Der Bildungssenator gibt sich allerdings optimistisch: „Der Entscheid steht. Es wird nicht scheitern!“ Man darf gespannt sein.