Susi wird schwierig

Die FPÖ bietet den Österreichern ein groteskes Schauspiel: Vierzigjährige wollen erwachsen werden – und demonstrieren damit, wie hörig sie Jörg Haider sind

Laufen die Dinge normal, bekommt Haider Depressionen. Das macht ihn unberechenbar.

Einmal wird es den Streit geben, von dem es dann heißen wird, es war ein Streit zu viel. Einmal wird der Bruch endgültig sein. Einmal wird Jörg Haider, der mit seiner Partei umzugehen pflegt wie einst James Dean mit seinem Silberpfeil, sich und die Seinen an die Wand manövrieren. Ist es schon so weit? Man kann es nicht wissen. Man weiß so etwas immer nur retrospektiv.

Nur eines ist sicher: Noch nie in den vergangenen zweieinhalb Jahren war so realistisch wie dieser Tage, dass ein Regierungsexperiment, das als politischer Tabubruch sondergleichen in Europa begonnen hat, in einer dramatischen Groteske endet. Denn der FPÖ-Altparteiobmann und Landeshauptmann von Kärnten, Jörg Haider, hat sich mit der Wiener Regierungsmannschaft seiner Partei endgültig überworfen. Seit mehr als einer Woche hält das Duell zwischen dem Populistenführer und seiner eigentlich als Statthalterin an der FPÖ-Spitze gedachten Vizekanzlerin Susanne Riess-Passer das Publikum in Atem. Dass kaum jemand nachvollziehen kann, worüber eigentlich gefochten wird, ist ein Hinweis darauf, dass es hier viel mehr um emotionale Fragen als um politische geht.

Die sachliche Seite ist schnell erzählt: FPÖ und ÖVP haben in ihrem Regierungsprogramm Steuererleichterungen für das Jahr 2003 versprochen, als Ausgleich für die Spar- und Schröpfaktionen der vorangegangenen Jahre. Eigentlich wollte der FPÖ-Finanzminister Karl-Heinz Grasser ein ausgeglichenes Budget vorlegen, doch dann kamen das eigene Unvermögen sowie die schlechte Konjunktur dazwischen – und nun auch noch das Hochwasser. Letzteres war für die Regierenden ein Geschenk des Himmels, denn so ließ sich die Steuerreform, die schon vorher unfinanzierbar war, mit Hinweis auf die nun nötige „nationale Solidarität“ absagen. Das Volk hätt’s verstanden, bloß Jörg Haider nicht. Nicht erst 2004, schon 2003 müsse die Reform kommen. Übrigens ist beiden Seiten Rationalität in der Sache nicht abzusprechen: In Zeiten der Krise ist es sinnvoll, die Binnenkonjunktur anzukurbeln, die durch das Hochtreiben der Abgabenquote in bisher ungekannte Höhen abgewürgt wurde. Andererseits wird das Haushaltsdefizit kommendes Jahr auch ohne Steuererleichterungen nur knapp weniger als drei Prozent betragen; der Spielraum ist also eng. Zwei unerfreuliche Alternativen, über die sich gewöhnlich Haushaltspolitiker den Kopf zerbrechen.

Doch aus der drögen Angelegenheit entstand ein Schaukampf nach dem Muster brutaler Familienzwiste, der nun seit Tagen dem TV-Publikum ins Heim geliefert wird. Allerorten ist nun die Frage zu hören, die die erstaunliche Karriere Jörg Haiders immer begleitet hat: Wie, um Gottes willen, tickt der Kerl? Warum legt er Feuer an eine Regierungskonstellation, die er selber gestiftet hat und die er nur um einen hohen Preis sprengen kann: Seine Partei gälte für Jahre als regierungsunfähig. Selbst wenn er die Macht wieder übernähme, brauchte er lange, bis er den zerrütteten Haufen wieder so weit hätte wie in seinen Glanztagen als Oppositionsführer.

Früher, wenn Haider ohne Not Krisen auslöste und Dinge tat, die ihm schadeten, kamen neben den politischen Kommentatoren immer auch Psychoanalytiker zu Wort. Da war von Haider, der verletzlichen Diva die Rede, dem Meister des Irrlaufs, gesegnet mit dem Hang zur maßlosen Selbstüberschätzung bei gleichzeitig extrem hoher Kränkbarkeit, einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung, wie der Wiener Psychoanalytiker August Ruhs bei solchen Gelegenheiten regelmäßig darlegte. Doch nun kommen die Spezialisten fürs Neurotische nicht auch zu Wort, nun kommen vor allem sie zu Wort. Zu offenkundig ist: Da ist ein Mann, dessen politischer Aufstieg nicht verstanden werden kann ohne das, was sein enger Berater Andreas Mölzer einmal den „Zwang zur permanenten Selbstdynamisierung“ genannt hat. Ein Mann, der so unberechenbar ist, weil er, wenn die Dinge normal laufen, in schwere Depressionen verfällt, und für den Anhänger und enge Weggefährten keine eigenen Charaktere sind. Sie genießen nur so lange seine Zuneigung, „solange diese als Erweiterung seines Selbst funktionieren“, formuliert der Kärntner Psychotherapeut Klaus Ottomeyer.

Wer die Psychodramatik der gegenwärtigen Vorgänge verstehen will, muss sich daran erinnern, wer eigentlich für die FPÖ in der Wiener Bundesregierung den Ton angibt. Susanne – „Meine Susi“ (Haider) – Riess-Passer, die Vizekanzlerin; Herbert Scheibner,Verteidigungsminister; Karl-Heinz Grasser, Finanzminister; dazu in der Schlüsselfunktion des Fraktionsvorsitzenden Peter Westenthaler. Alles Männer und Frauen zwischen dreißig und vierzig, die als blutjunge Burschen und Mädels aus der Provinz oder der Wiener Vorstadt vor zehn, fünfzehn Jahren in die engere Umlaufbahn des Mannes eintraten, der für sie ein strahlender Rebell war. Sie waren nicht politisch, hatten aber einen starken Hang zum Autoritären. Haider stieß diesen jungen Leuten das Tor zu einer aufregenden Welt auf. Sie haben ihn angehimmelt, wie das Teenager und spätreife Twens manchmal tun. Sie wurden treue Diener ihres Herrn. Riess-Passer war, bevor ihr der Pate das verniedlichende „Susi“ umhängte, als Königskobra bekannt.

Jörg Haider, der Narziss, der begnadete Menschenfischer, spiegelte sich in der maßlosen Bewunderung dieser Gruppe, die „Buberlpartei“ hieß, weil mit Ausnahme von Riess-Passer nie eine Frau in den Kreis dieser bedingungslos hörigen Haider-Apostel zugelassen wurde.

Von den Wahlerfolgen wurden sie auf Posten, Ämter, Mandate gespült. Anfangs waren sie hilflos in der städtischen Gesellschaft, wurden gehänselt, sie konnten einem fast Leid tun. Heute sind sie Minister und Vizekanzlerinnen. Sie haben ein bisschen was gelernt: Wie man fraktioniert, Ministerien führt, Weisungen schreibt, haben Rhetorikkurse besucht und Stylisten engagiert. Doch anders als ihrem Chef ist ihnen das Outcastsyndrom nicht zur zweiten Natur geworden. So, wie sie einst die Anerkennung ihres Idols brauchten, genießen sie jetzt die Anerkennung des Establishments. Sie wollen regieren, wie man eben so regiert – also verwalten – und nicht dauernd von Jörg Haider gestört werden. Und Jörg Haider will von diesen Leuten nicht hören, dass sie eine andere Meinung haben als er.

Die FPÖ bietet dem TV-Publikum einen Schaukampf nach dem Muster brutaler Familienzwiste

Sie haben gegen ihn keine Chance. Noch in ihrem „Emanzipationsprozess“ beweist sich, wie sehr Haider der Mittelpunkt ihrer Identität ist. Das Heldenstück der Abwendung einer „moderaten“ Regierungs-FPÖ von ihrem wütenden Paten wird nicht gegeben. Nur ein paar bald 40-jährige Männer und Frauen – in hohen Staatsämtern! – versuchen ein bisschen, autonome Individuen zu sein. Lächerlich ist das, eigentlich eine Belästigung der Öffentlichkeit, vor der diese Spätpubertierendenkomödie aufgeführt wird. Und wären am Sonntag Wahlen, ist nicht einmal sicher, dass die Wähler dieser Groteske ein Ende setzen würden. Das ist eigentlich unfassbar.

ROBERT MISIK