Pommes dürfen weiter giftig sein

Acrylamid-belastete Lebensmittel können so lange im Verkehr bleiben, bis feststeht, wie gefährlich der Stoff wirklich ist. Hersteller sollen Belastung auf freiwilliger Basis reduzieren. Forscher: Das Gesundheitsrisiko ist höher als bei Nitrofen

aus Berlin IHNO GOLDENSTEIN

Pommes und Chips können giftig sein. Das ist seit Mai bekannt. Die Gefahrenquelle heißt Acrylamid und wird von Experten als „sehr wahrscheinlich erbgutschädigend und krebserregend“ eingestuft. Die belasteten Produkte bleiben allerdings auf dem Markt. Zu unerforscht sei noch die Wirkung von Acrylamid auf Menschen, finden sowohl die Wirtschaft als auch das Verbraucherschutzministerium. Jedoch soll der Gehalt des giftigen Stoffes in hoch belasteten Lebensmitteln verringert werden.

Acrylamid fanden im April schwedische Forscher in stärkehaltigen Lebensmitteln –wenn sie gebraten, gebacken oder frittiert wurden. In Deutschland wurden bei Untersuchungen in Kartoffelchips Werte von bis zu 3.600 Mikrogramm Acrylamid pro Kilo Knabberware nachgewiesen, in Pommes bis zu 1.900 Mikrogramm pro Kilo. Das Gift kann aber auch in Kräckern, Cornflakes, Knäckebrot, Keksen und anderen Backwaren stecken.

Es entsteht offenbar während des Bratens, Frittierens und Backens stärkehaltiger Lebensmittel – auch im heimischen Backofen. Die Temperaturentwicklung dabei scheint eine Rolle zu spielen, denn nicht alle Fritten sind gleich stark belastet. In Obst, Gemüse und Fleisch, gekochten und gedünsteten Lebensmitteln wurde dagegen kein Acrylamid nachgewiesen.

Wie gefährlich dieser Stoff tatsächlich ist, darüber gibt es zurzeit noch unterschiedliche Ansichten. Josef Schlatter vom Schweizer Bundesamt für Gesundheit sieht ein deutlich höheres Gesundheitsrisiko als etwa bei Nitrofen und dem Antibaby-Hormon MPA, zwei Stoffen, die erst vor kurzem zu Lebensmittelskandalen geführt haben. Das Krebsrisiko stuft der Schweizer bei 50 bis 100 Erkrankungen pro eine Million Einwohner ein. Allerdings: Das Risiko, an den Folgen von Übergewicht zu sterben, sei 600-mal höher.

Zu einem ähnlichen Vorgehen wie bei MPA und Nitrofen – nämlich die betroffenen Produkte vom Markt fern zu halten – sieht das Verbraucherschutzministerium aber weder eine Notwendigkeit noch eine Möglichkeit, erklärte der zuständige Staatssekretär Alexander Müller (Grüne) auf einer Fachtagung des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz am Donnerstag in Berlin. Die Union habe im Bundesrat verhindert, dass das Verbraucherinformationsgesetz in Kraft trete. Daher sei es nicht möglich, stark belastete Produkte zu nennen oder zu kennzeichnen, so Müller. Und einen Acrylamid-Grenzwert, auf dessen Basis bestimmte Lebensmittel aus dem Verkehr gezogen werden könnten, gibt es nicht: Derzeit weiß noch niemand, wie hoch dieser Wert liegen müsste.

Behörden und Ernährungsindustrie setzen daher auf eine doppelte Strategie. Zum einen soll Anfang nächsten Jahres ein Forschungsvorhaben anlaufen. Ziel ist es, mehr über die Entstehung und Wirkung von Acrylamid herauszufinden und Produktionstechniken zu entwickeln, wie die Belastung verringert werden kann. Zum anderen sollen die Hersteller der am stärksten betroffenen Nahrungsmittel dazu gebracht werden, den Giftgehalt zu reduzieren. Möglich ist das: Bei Chips etwa reicht die Bandbreite von 300 bis 3.600 Mikrogramm pro Kilo. Angesprochen werden die Produzenten von Lebensmitteln, deren Acrylamidgehalt über 1.000 Mikrogramm pro Kilo liegt, oder die zu den am höchsten belasteten zehn Prozent der jeweiligen Produktgruppe gehören.

Die Verbraucherzentralen raten, Chips, Pommes, Kekse und Knabberartikel sowie Frühstückszerealien nur selten oder gar nicht zu essen.

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