Alles klar bei der Dose. Aber sonst?

aus Berlin BETTINA GAUS

Das Dosenpfand muss abgeschafft werden. Sofort. Dieser einschneidenden Maßnahme räumen die Unionsparteien nach vierjähriger Amtszeit einer rot-grünen Bundesregierung höchste Priorität ein: Sie haben die entsprechende Forderung in ihr „Sofortprogramm für ein leistungsfähiges und soziales Deutschland“ aufgenommen, das gestern in Berlin präsentiert wurde und in dem die vordringlichsten Pläne für die ersten sechs Monate nach einem möglichen Machtwechsel skizziert werden.

Wenigstens hinsichtlich des Schlucks aus der Dose wissen die Wählerinnen und Wähler nun also, woran sie sind. Oder doch zumindest bis zu einem gewissen Grad. Was genau darunter zu verstehen ist, wenn die Union jetzt eine „ökologisch wirksamere und ökonomisch praktikablere sowie mittelstandsfreundliche“ Regelung verspricht, bleibt abzuwarten. Aber immerhin – man weiß nun, dass Stoiber kein Pfand für seinen Eistee aus der Dose zahlen möchte. Was mehr ist, als sich hinsichtlich seiner Willensbildung über andere Themen sagen lässt.

Dabei enthält das Sofortprogramm der Union vieles, was bereits im Vorfeld erwartet worden war: Wirtschafts- und arbeitsmarktpolitische Themen nehmen den größten Raum ein. Die Verschiebung der Steuersenkung soll rückgängig gemacht, die gesetzliche Neuregelung des alten 630-Mark-Gesetzes ein weiteres Mal geändert und das Gesetz zur Bekämpfung der Scheinselbstständigkeit aufgehoben werden. Außerdem ist geplant, die von der Bundesregierung vorgesehene fünfte Stufe der Ökosteuer entfallen zu lassen.

Die meisten der zentralen Fragen, die Äußerungen führender Unionspolitiker in den letzten Wochen aufgeworfen haben, bleiben jedoch auch weiterhin unbeantwortet. Zum Beispiel die nach der Finanzierung: Allein die geplante Anhebung der Grenze für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse auf demnächst 400 Euro wird zu geschätzten steuerlichen Mindereinnahmen von rund 2,5 Milliarden Euro führen. Woher sollen die kommen? Und womit sollen die rund drei Milliarden Euro, die infolge der Ökosteuer in die Rentenkassen fließen, demnächst aufgebracht werden?

Auch die Union selbst beschleichen offenbar gewisse Zweifel hinsichtlich der Finanzierbarkeit der von ihnen gewünschten Politik. Das zeigt sich unter anderem daran, dass sogar Stoiber derzeit nur ein begrenztes Finanzvolumen für die Entlastung des umworbenen Mittelstands zur Verfügung zu haben glaubt und dass er den Verteidigungsetat zwar grundsätzlich anheben möchte, eine detailliertere Festlegung aber lieber vermeidet.

Fest steht allein, aus welchem Topf die Union die Hilfe für die Flutopfer bezahlen möchte: nämlich wie angekündigt aus den Gewinnen der Bundesbank, die deshalb nicht in dem bisher vorgesehehen Rahmen in den Erblastentilgungsfonds einfließen, sondern statt dessen für Wiederaufbau eingesetzt werden sollen. Zu deutsch bedeutet das: Vor die Wahl gestellt, ob lieber der Schuldenstand oder eher die Steuern auf betrüblicher Höhe verbleiben sollen, entscheidet sich Stoiber für die Schulden. Deshalb soll bereits zum Jahresbeginn beschlossen werden, den Eingangssteuersatz – wie von der SPD ursprünglich geplant – auf 17 und den Spitzensteuersatz auf 47 Prozent abzusenken.

Das kann man ja durchaus so machen. Und vermutlich hätte der Kanzlerkandidat einst im heute fast vergessenen SPD-Vorsitzenden Oskar Lafontaine einen mächtigen Verbündeten gefunden. Das allein aber erklärt noch nicht, weshalb es einer unionsgeführten Bundesregierung ein so dringliches Anliegen ist, eine verschobene Steuererhöhung nun um (fast) jeden Preis durchzusetzen, die sie einst um (fast) jeden Preis heftig bekämpft hatte.

Die Vorstellung des Sofortprogramms war nach der Hochwasserkatastrophe um einige Tage verschoben und danach mit umso größerer Spannung erwartet worden. Weniger deshalb, weil die Öffentlichkeit gebannt auf die umweltpolitischen Konzepte der Union gewartet hätte, die diese nach der großen Flut in einem eilig zusammengeschusterten Zusatzkapitel nun plötzlich doch der Aufnahme in das Papier für wert befunden hatte. Auf besonderes Interesse stieß vielmehr die Frage, ob es auf der Zielgeraden des Wahlkampfs vielleicht doch noch gelingen könnte, die Dissonanzen im Stimmengewirr der konservativen Solisten zu einem harmonischen Chor zusammenzufügen.

Edmund Stoiber kann in diesem Zusammenhang für sich in Anspruch nehmen, sich sogar selbst mehrfach heftig und scharf widersprochen zu haben – schärfer, als Schröder das bisher je gewagt hat. Erst probt der Kandidat den Schulterschluss mit Washington, nun wendet er sich in einer halsbrecherischen Kehrtwende doch gegen einen US-Alleingang gegen den Irak. Erst hält er die Homoehe für verfassungswidrig, nun will er daran nichts ändern. Erst beklagt er, dass Großunternehmen zur Solidarität für die Flutopfer nicht herangezogen werden, nun beklagt er die Erhöhung der Körperschaftssteuer. Irrungen und Wirrungen eines Spitzenpolitikers.

Nimmt man nicht nur die Äußerungen von Stoiber ernst, sondern auch noch die seiner wichtigsten Parteifreunde, dann wird die Lage vollends undurchschaubar – und das Sorfortpogramm ist in diesem Zusammenhang allenfalls dazu angetan, die bestehende Ratlosigkeit noch zu vergrößern. Beispiel Arbeitsmarkt: Hatte der designierte Superminister für Wirtschaft und Arbeit, Lothar Späth, die Vorschläge der von Schröder eingesetzten Hartz-Kommision spontan als „mutig“ und „revolutionär“ bezeichnet, so wehrte Stoiber diese sogleich als unseriös ab. Wer sich jetzt von einem Blick ins Sofortprogramm endgültige Aufklärung erhofft, sieht sich enttäuscht: Die von ihm gewünschte Verschärfung der Zumutbarkeitsregeln für Arbeitslose erinnert an genau jenen verhöhnten Kommissionsbericht – was gilt denn nun?

Am vergleichsweise deutlichsten ist das Kurzprogramm der Union noch bei den so genannten „weichen“ Themen. In diesem Zusammenhang werden übrigens alle Klischees hinsichtlich der vermuteten gesellschaftspolitischen Vorstellungen des Kandidaten bedient – Klischees, die in den letzten Monaten von Leitartiklern unterschiedlicher Couleur angesichts der Kreidelüsternheit des Wolfs aus Bayern übereinstimmend für allzu schlicht gestrickt erklärt worden waren.

In Kürze: Die Höchststrafe für Heranwachsende soll von derzeit 10 auf 15 Jahre heraufgesetzt, die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts die Regel werden. Geplant sind außerdem härtere Schritte gegen Sexualstraftäter sowie eine nachträgliche Sicherheitsverwahrung für Schwerkriminelle. Für alle, die einer Sexualstraftat verdächtigt – nicht überführt! – werden, soll eine DNA-Analysepflicht eingeführt werden. Graffiti sollen künftig in jedem Falle strafbar sein, unabhängig von ihrem möglichen künsterischen Gehalt, und die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr nach innen sollen deutlich erweitert werden.

Zumindest die letzte Forderung legt die Vermutung nahe, dass das Bundesverfassungsgericht auch nach den Wahlen nicht arbeitslos werden dürfte. Es bedarf keiner prophetischen Gaben, um einen Gang der Opposition – welcher auch immer – nach Karlsruhe vorherzusagen, sollten die Aufgaben der Bundeswehr in der Gefahrenabwehr nach innen neu definiert werden.

Bloß gut, dass die Bevölkerung angesichts all dieser Unwägbarkeiten wenigstens darauf vertrauen kann, dass das Dosenpfand fallen wird. Oder kann sie auch da so sicher nicht sein? Immerhin regt sich innerhalb der CSU auch gegen diesen Plan bereits Widerspruch. Umweltexperte Josef Göppel hält ihn für eine „krasse Fehlentscheidung.“ Nun, vielleicht wird man auch in dieser Hinsicht abwarten müssen.