Land unter in Bremen?

Wissenschaftler haben erstmals die Wahrscheinlichkeit eines „Jahrhundert-Hochwassers“ für die Stadt an der Weser entwickelt. Es dürfte nur einmal in 800 Jahren so weit kommen – und trotzdem kann es jedes Jahr passieren

In Bremen kommt das Unheil von hinten: Wenn die Deiche an den Sperrwerken der Lesum kollabieren, sickert das Wasser über die Wümmewiesen Richtung Kuhsiel, um von dort zunächst die Universität, später Schwachhausen oder Findorff zu fluten. Die Stahlwerke sind dann schon längst vollgelaufen, Land unter auch an Hochschule und bei Beck’s in der Neustadt.

Alles nur ein Szenario? Wissenschaftler der Universitäten von Bremen, Braunschweig und Hannover haben erstmals die Wahrscheinlichkeit eines Deichversagens und die dadurch entstehenden Schäden in Bremen und umzu berechnet. Der worst case dürfte Bremen danach nur alle 800 Jahre heimsuchen – und auch nur dann, wenn der Meeresspiegel wie bisher weiter ansteigt. „Aber das heißt nicht, dass es erst wieder in 800 Jahren soweit ist“, erklärt Stephan Mai, Flut-Experte vom Franzius-Institut der Uni Hannover. Sondern: „Jedes Jahr besteht eine Gefahr von eins zu achthundert, dass es so weit kommt.“ Und: Auch in Dresden hatte niemand mit der „Jahrhundertflut“ gerechnet.

„Das 1000-jährige Hochwasser kann auch morgen kommen“, betont auch der Ökologe Michael Schirmer, Koordinator des Uni-Projekts „Klimawandel und Unterweserregion“. Derzeit sind die Deiche noch auf die Wahrscheinlichkeit eines Schadensfalls alle 3.000 Jahre ausgelegt. Aber mit dem Ansteigen des Meeresspiegels durch die Klimakatastrophe „könnte diese Sicherheitsreserve schnell aufgebraucht sein“, meint Schirmer.

Worst case – in ihrem Szenario gehen die Forscher von einer großen Sturmflut samt gleichzeitigem Riesen-Hochwasser aus. Über die Schlachte in die City dürfte das Weser auch bei 6,50 Meter Höhe – das wäre ein „Jahrtausend-Hochwasser“ – nicht schwappen. Der normale Wasserstand der Weser liegt bei 2,30 Metern. Aber ganz in der Nähe könnte schon alles abgesoffen sein: Brake, der zweitgrößte Hafen Niedersachsens, gilt als der am meisten gefährdete Ort in der Region. Dort liegt die Wahrscheinlichkeit eines Deichversagens bei einmal in 40 Jahren. „Wenn wir dort eine Flut simulieren, laufen Schäden in Höhe von 400 Millionen Euro auf“, errechnete der Bremer Ökonom Thomas Knogge.

In Bremen wären die Schäden eines „Jahrhundert-Hochwassers“ ungleich höher. Kostete die letzte große Flut im Jahr 1962 in Bremen sieben Menschenleben und 42 Millionen Mark (siehe Kasten), hat Knogge in einer Simulation für heute Schäden in Höhe von 2,6 Milliarden Mark herausgegerechnet. Knogge betont: „Wir tragen jeden Tag ein gewisses Risiko mit uns.“

„Wir hatten dieses Jahr schon ein Jahrhundert-Hochwasser – das an der Wümme“, sagt Martin Rode vom Bremer BUND. Trotz der Katastrophen an der Elbe oder vor fünf Jahren an der Oder würden in Bremen weiter munter Flächen versiegelt. An denen könnte sich der Fluss im Falle eines Falles totlaufen. Rode nennt ein Beispiel: „Die Neubaufläche in Brokhuchting liegt mitten im Überschwemmungsgebiet der Ochtum.“ Gleichzeitig moniert der BUND-Mann fehlende Ausgleichflächen im Mittellauf der Weser, bis runter nach Hannoversch Münden. „Die einzige Chance, solche Flächen zu schaffen, hat die Stadt vertan“, klagt der BUND-Mann und meint die geplatzte Deichrückverlegung am geplanten Gewerbegebiet Arberger /Mahndorfer Marsch, die bis zu 250 Hektar Flutungsgebiete geschaffen hätte.

Auch die jetzt diskutierte Vertiefung der Außenweser hält Rode „nicht nur ökonomisch für fatal“. Umweltminister Trittin hatte betont, wenn der Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven gebaut würde, brauche man den Fluss bei Bremerhaven nicht ausbaggern. Rode sieht auch den ökologischen Aspekt: „Eine Vertiefung hat auch dort den Effekt, dass das Wasser schneller und höher aufläuft.“ Und trotzdem hofft er, „dass das Elbe-Hochwasser tatsächlich Bewegung in die Köpfe gebracht hat“.

Kai Schöneberg

Thomas Knogge: Umweltschocks und langfristige regionale Wirtschaftsentwicklung. Eine integrative Analyse regionalökonomischer Folgen des globalen Klimawandels. Mit dem Fallbeispiel der nordwestdeutschen Küstenregion. Reihe Strukturwandel und Strukturpolitik (Hrsg.: W. Elsner), Bd. 3, Peter-Lang Verlag, Frankfurt a. Main, 174 Seiten