„Ich bin Feministin und rasiere mir trotzdem die Beine“

Ramona Pop (Grüne) hält ein bisschen Eitelkeit bei Politikerinnen für unerlässlich. Nach schnellem Aufstieg ist sie mit 24 Jahren die Jüngste im Landesparlament. Ganz hoch hinaus will sie aber nicht

Interview STEFAN ALBERTI

taz: Frau Pop, wann werden Sie Bundeskanzlerin?

Ramona Pop: Bitte? Wie kommen Sie denn auf diese Frage?

Na, Sie haben doch einen Workshop der Grünen zum „Girls’ day“ geleitet, der den Weg dahin zeigen sollte.

Es gibt dafür keine Anleitungen und Tipps, und ich strebe auch nicht an, Bundeskanzlerin zu werden.

Das sieht aber doch Erfolg versprechend aus. Mit 20 Parteimitglied, mit 22 Polit-Azubi in einem Mentorenprogramm bei Renate Künast, dann Sprecherin der Grünen Jugend und mit 24 ins Abgeordnetenhaus. Das hört doch da nicht auf.

Mal sehen. Jetzt bin ich die nächsten vier Jahre Abgeordnete. Soll ich da anfangen zu planen: Jetzt mache ich dies, werde da Vorsitzende, gehe in den Bundestag und werde Bundeskanzlerin? Dafür bin ich zu jung. Vieles ist ja auch Zufall, die Neuwahl im vergangenen Oktober etwa war doch nicht abzusehen.

Nicht offen nach einem Posten streben, scheint frauentypisch zu sein. Die CDU-Abgeordnete Monika Grütters rief nach Frauen an der Spitze, wollte aber selbst nicht Chefin werden. Männer rütteln am Kanzleramt und kommen irgendwann auch mal rein.

Aber der Rüttler könnte auch ziemlich schnell wieder rauskommen. Das Rütteln reicht doch nicht aus, es muss auch das politische Projekt dahinter geben.

Wie sind Sie denn zur Politik gekommen?

Sie warten auf ein Schlüsselerlebnis, oder? Im Sinne von: Meine Mutter fällt einen Baum im Garten, ich fange an zu weinen und gehe später zu den Grünen. Das gibt es bei mir nicht. Die Wahrheit ist viel nüchterner: Ich war politisch interessiert, immer schon, und hab’ mir in der Schule heiße Diskussionen geliefert, die in der Pause oft weitergingen.

Ohne konkreten Anlass in eine Partei?

Na, doch – die anstehende Bundestagswahl 1998. Ich gehöre ja zu einer Generation, die mit Helmut Kohl groß geworden ist.

Sie hatten ja nie einen anderen Kanzler erlebt …

… und das sollte sich ändern. Ich habe mir gesagt: Wenn Politik, dann jetzt, um einen Wechsel mitzugestalten, um Wahlkampf zu machen und um Kohl endlich wegzukriegen. Und so bin ich zu den Grünen gekommen und habe in Münster eine Gruppe der Grünen Jugend aufgebaut.

SPD-Denker Peter Glotz sagt, heute würden politisch interessierte junge Menschen nicht mehr bei den Linksparteien landen, sondern bei Attac. Hat er Recht?

Nicht ganz, es geht um eine Entscheidung für eine Art von Politik. Ich war zwar auch von Anfang an bei Attac, aber ich bin in eine Partei eingetreten, weil ich die ganze Bandbreite der Politik haben wollte. Ich wollte nicht nur bei amnesty für Menschenrechte eintreten, nicht bei Greenpeace allein etwas zur Rettung der Wale unternehmen.

Noch mal gefragt: Ist Attac bei der Nachwuchswerbung eine Konkurrenz zu den Grünen?

Sicherlich. Da laufen noch die heißen Debatten, die bei den Grünen schon gelaufen sind oder nicht mehr laufen. Attac ist für jüngere Leute schon spannender als parlamentarische Arbeit, das lässt sich nicht leugnen.

Sie haben Ihre Kindheit in Rumänien verbracht, zu tiefster Ceaușescu-Zeit, sind 1988 mit elf Jahren in die Bundesrepublik gekommen und haben dann in Münster gelebt. Können Sie sich noch an die Zeit vor der Übersiedlung erinnern?

Das sind Erinnerungen, die die meisten deutschen Kinder wohl nicht haben: Wie ich morgens um fünf Uhr raus musste, um mich für Lebensmittel in der Schlange anzustellen. Es konnte jederzeit eine Lieferung kommen, und deshalb musste die ganze Familie ran, um die nicht zu verpassen.

Was für ein politisches Bild haben Sie noch im Kopf, so weit Sie als Kind da überhaupt etwas mitbekommen haben?

Die Zeit war sehr unpolitisch. Den Leuten blieb ja nichts anderes übrig: Entweder man engagierte sich und riskierte dabei Kopf und Kragen, oder man zog sich ins Private zurück. Bei unserer Familie kam hinzu, dass wir zur deutschen Minderheit gehörten und dass mein Onkel nach Deutschland geflüchtet war kurz nach meiner Geburt. Wir waren quasi unter Rundumbewachung, nachdem wir die Ausreise beantragt hatten.

Sind Sie unter dieser Bewachung mal aufgefallen?

Ich habe mal in einem Schulbuch Eselsohren an ein Bild von Ceaușescu gemalt. Aber das war keine politische Aussage, als Achtjährige hat man die nicht – ich hatte mich einfach in einer Schulstunde gelangweilt.

Das wurde aber sicher als politische Tat gewertet.

Und wie. Vor allem mit meinem Hintergrund. Für die war ich ideologisch schon in jungen Jahren auf der falschen Spur.

Macht sich Ihre Herkunft in Ihrer politischen Arbeit bemerkbar?

Eigentlich nicht, weil ich meine entscheidende Politisierung in Deutschland erlebt habe. Als ich mal wieder in Rumänien war, habe ich durch das dortige System gar nicht mehr richtig durchgeblickt. Aber natürlich gibt es Punkte, wo ich automatisch hellhöriger werde, wie bei der Einwanderung. Nach außen hin spielt meine Herkunft keine Rolle, da man mir nicht mehr anhört, wo ich geboren bin.

Hat auf Ihrem zügigen Weg ins Parlament mal jemand zu Ihnen gesagt: Jetzt aber mal halblang. Oder: Die fährt nur auf Ticket von Künast, ihrer früheren Mentorin?

Letzteres nicht, weil ich nicht mehr so viel Kontakt zu ihr hatte, als ich mich zur Kandidatur entschlossen habe. Ich glaube auch nicht, dass sie mich sonderlich unterstützt hat. Das finde ich okay, weil ich glaube, dass man solche Dinge aus eigener Kraft schaffen sollte.

Und Ersteres – „jetzt mal halblang“?

Das gibt es natürlich, klar. Und das ist schon witzig: Dieselben Leute, die wie Sie fragen: Willst du Bundeskanzlerin werden?, und enttäuscht sind, wenn ich „Nein“ sage, sind auch die, die sagen: In deinen jungen Jahren wollte ich die Welt verändern und nicht Karriere machen.

Dass Sie sich Gegner gemacht haben, konnte ja nicht ausbleiben. Über die Parteioberen sagten sie vergangenes Jahr „Wir haben an unserer Spitze graue Männer in grauen Anzügen.“ Was macht Fischer, Trittin, Kuhn und Schlauch so grau?

Die sehen schlicht grau aus, wenn sie beim Parteitag vorne sitzen.

Schlauch hat doch eher was Barockes.

Trotzdem ist er grau. Ich habe das Gefühl, dass viele Grüne noch glauben, dass sie der eigene Jugendverband sind. Und da habe ich gegengehalten – damit sie wahrnehmen, dass sie älter werden, dass sie eine andere Generation sind, dass es auch Jüngere gibt, die politisch anders als sie agieren.

Dass Jüngere sich ausgebremst fühlen, gibt es ja nicht nur bei den Grünen. Zu Bonner Zeiten fanden sich parteiübergreifend junge Abgeordnete zur „Pizza Connection“. Hocken Sie gelegentlich mit Mario Czaja von der CDU oder PDS-Mann Benjamin Hoff zusammen?

Es gibt keine institutionalisierten Treffen, weder als Pizza- noch als andere Connection, nur lose persönliche Verbindungen.

Aber wäre eine solche Verbindung nicht interessant?

Man kann das natürlich auch mal parteiübergreifend machen. Aber das wäre eher ein nettes Zusammensitzen als eine Runde mit einer politischen Zielsetzung. Ich habe mich immer geweigert zu glauben, bloß weil wir alle jung sind, hätten wird auch ein gemeinsames Anliegen – sonst wären wir alle in einer Partei und nicht in verschiedenen.

Jetzt sind Sie, die Graue-Männer-Kritikerin, in einer Fraktion, in der seit Jahren die Gleichen den Ton angeben. Wo bleibt denn hier ihre Forderung nach Generationswechsel?

Ich habe nie gesagt: Wir Jüngeren gehen jetzt rein und übernehmen den Laden. Damit tut man sich keinen Gefallen. Ansprüche kann man erst anmelden, wenn man mit dem neuen Umfeld klarkommt. Das behaupte ich nicht, um die Alten zu schonen, sondern schlicht und einfach, um das Handwerk zu lernen.

Das hört sich ziemlich abgeklärt an, ohne jugendlich-revolutionären Eifer.

Vielleicht unterscheidet das auch meine Generation von vorigen: professioneller sein, nicht von jetzt auf gleich schnell alles ändern zu wollen und persönlich dabei draufzugehen. Ich sehe zu viele ältere Grüne als Beispiel dafür. Das will ich mir selbst nicht antun.

Was meinen Sie mit „draufgehen“?

Leute, die wirklich mit Leib und Seele dabei sind und für nichts anderes mehr Zeit haben, denen außer der Politik nichts anderes mehr bleibt. Ich kann zwar verstehen, dass man die Welt retten will. Aber wenn ich nur noch über Politik rede, am schlimmsten noch mit immer den gleichen Leuten aus der eigenen Partei, dann bekomme ich keine neuen Diskussionsansätze von außen. Dann brät man im eigenen Saft.

Bei Grünen-Parteitagen ist bei Kameraleuten immer noch der strickende Grüne mit Bart und Jesuslatschen beliebt. Tatsächlich kommt auch ihre Partei schick und mit Make-up daher wie Sie selbst. Hat eine ungeschminkte Frau in Strickpulli und Birkenstock heute bei den Grünen noch eine Chance?

Das geht beides zusammen. Meine Generation ist halt eine andere, eine, die auch andere modische Vorstellungen hat. Ich fand es immer schon falsch, Aussehen mit politischer Gesinnung gleichzusetzen. Da haben sich einige bei mir schon ziemlich vertan.

Die haben sie bei der Jungen Union oder den Jungen Liberalen geortet.

Nein, das doch nicht, eher bei der SPD. Das ganze erinnert mich auch an die Debatte in Frauenkreisen: Kann ich mich für Frauen einsetzen und gleichzeitig die Vogue lesen, darf ich mich modisch anziehen? Für mich geht beides zusammen – ich bin Feministin und rasiere mir trotzdem die Beine.

Sind Sie eitel?

Ein bisschen Eitelkeit muss man als Politikerin haben.

Als Bundessprecherin des grünen Jugendverbands haben Sie in Papieren und Stellungnahmen mächtig auf den Putz gehauen. Seit Sie Abgeordnete sind, sind Sie in dieser Hinsicht ziemlich ruhig geworden.

Die parlamentarische Arbeit ist eine Art von Arbeit, die ich vorher nicht gekannt habe, in die ich mich erst reinfinden muss. Mir fällt es auch nicht leicht zu akzeptieren, dass man oft nur in Minischritten vorwärts kommt, wenn das überhaupt gelingt.

Hört sich nicht sonderlich begeistert an.

Die Arbeit ist eben ziemlich schwierig. Ich merke auch, wie ich mir dieses furchtbare Politiker-Sprech angewöhne. Aber mir hört im Ausschuss keiner zu, wenn ich nicht die Sprache spreche, die sie da alle pflegen.

Wo wir gerade beim Analysieren sind: Wie ist Ihr Fazit nach fast zehn Monaten im Abgeordnetenhaus?

Was parlametarische Diskussionen angeht, bin ich gefrustet. Da komme ich mir in der Opposition noch nicht mal wie eine Statistin vor, sondern so, als wäre ich überhaupt nicht da.

Wieso?

Ich habe das Gefühl, dass die SPD am liebsten alles in zehn Minuten durchwinken würde. Vielleicht ist das das parlamentarische Spielchen, an das ich mich gewöhnen muss. Aber ich denke, dass es nicht so sein sollte.

Vielleicht ist das ja der Feldversuch für ihr Politologiestudium an der FU. Kriegen Sie ihren Abschluss neben dem Mandat auf die Reihe?

Das ist eine wichtige Sache, die mir für Parteiarbeit kaum Zeit lässt – um mal auf das „ziemlich ruhig geworden“ zurückzukommen. Ich habe fast jeden Abend Politik-Termine und stecke gleichzeitig in den Anfängen meiner Diplomarbeit. Da komme ich kaum noch dazu, mich wie früher in der Partei zu engagieren und die Meinungsbildung zu beeinflussen.

Worüber schreiben Sie Ihre Diplomarbeit?

Das wird Sie nicht interessieren.

Lassen Sie erst mal hören.

„Alterssicherung in der Europäischen Union“ – das genaue Thema überlege ich mir jede Woche wieder neu und verwerfe es dann wieder.

Sie hätten ja auch etwas Naheliegendes wählen können. Etwa „Die Geschichte der Grünen in Berlin seit 1979“.

Bloß nicht. Ich habe genug grün um mich herum. Außerdem ist Politik meistens sehr schwammig und hat viel mit Absprachen und Schönreden zu tun, dass mir ein trockenes, nüchternes Thema richtig gut tut. Manchmal würde ich am liebsten nebenher Mathematikaufgaben lösen: Da hätte ich dann etwas, bei dem am Ende ein klares Ergebnis steht.

Was ist denn im nächsten Jahr angesagt, wenn Sie Ihr Diplom in der Tasche haben?

Erst mal ein halbes Jahr lang nur Abgeordnete sein. Ich habe immer mehrere Sachen parallel gemacht und wünsche mir, dass es sich eine Zeitlang auf eine Belastung beschränkt. Danach? Mal schauen. Aufbaustudium, Fernstudium, Promotion. Ins Ausland kann ich ja erst mal nicht, aber vielleicht nach Ende der Legislaturperiode.

Hat sich das Mandat auf Ihr Privatleben ausgewirkt? Oder wird außerhalb des Parlaments aus der Abgeordneten Pop wieder die Studentin Ramona?

Ich kann natürlich nicht sofort abschalten. Freunde amüsieren sich immer darüber, dass ich einen anderen Ton drauf habe, sobald es um Politik geht. Das ist dann der offizielle Ton aus dem Parlament – ich setze mich unbewusst aufrecht hin und fange an zu dozieren.