Jenseitige Jagdgründe

Das Wahrheit-Wahlporträt. Heute: Kleine Parteien am Rande des Abgrunds

Die meisten kleinen Parteien werden in die ewigen Jagd–gründe des Vergessens fahren

Am 22. 9. 2002, einem Sonntag im September, fällt das Beil des Wählers auf die deutsche Parteienlandschaft. Wer überlebt oder fortan vier Jahre als Untoter existieren muss, steht zwar weitgehend fest: Wie in der Wirtschaft werden die großen Konzerne SPD und CDU sowie ihre Zulieferbetriebe FDP, Grüne und PDS den Markt aufteilen. Dennoch lohnt es sich, einen Blick auf die kleinen Anbieter am Rand zu werfen, ehe sie mit gespaltenem Schädel neben der Wahlurne liegen.

Das Spektrum der Palette ist breit. Es reicht von der „Allgemeinen Benimmpartei“ – sie stört sich unter anderem daran, dass kleine Kinder und wilde Tiere oft nicht anständig grüßen – über die „Esoterische Liste“ (sie fordert die Respektierung von Steinen als Lebewesen und ihre Gleichstellung mit Alten, die gesetzliche Anerkennung von denkender Luft und die Aufhebung der Naturgesetze) bis zum „Bürgerlichen Bündnis bürgerbewegter Bürger“, das heute, dreizehn Jahre nach dem Mauerbums, endlich auch die Bärte in den Köpfen einreißen will. Der Bogen, um den Faden weiterzuleiern, spinnt sich darüber hinaus von der „Modernen Touristikpartei“ (die den Obersalzberg zu einem „Ort für die ganze Familie“ machen will, „wo man gern hinfährt und auch junge Leute mal einen draufmachen können“, so der Vorsitzende Adolf Schröder) bis zum „Bündnis ’33/Die Braunen“, einer Partei der rechten Mitte, die die Kultur der Erinnerung pflegt, damit altes Wissen und Können nicht verloren geht.

Zahlreiche Parteien sprechen Wähler an, die von den Parteien enttäuscht sind. Gegen die verwelkten Verräter an der grünen Idee wendet sich die „Radikale Baum- und Bananenpartei“, die sich ökologisch, gewaltfrei und basisdemokratisch gibt, doch wird auch sie sich „im Lauf der Zeit“, wie Kritiker meinen, „als in Ökofragen ahnungslos, zudem außenpolitisch gewaltbereit und in einzelnen Führungspersönlichkeiten diktatorisch“ erweisen, so Joseph Fischer.

Auf verlorenem Eimer dürfte auch „Links – Die Linke Liste auf Linker Linie“ (Lilililili) stehen. „Die moderne SPD ist für grüne, liberale und konservative Gegner der Sozialdemokratie wählbar geworden“, klagt verbittert Generalsekretär Karl-Lenin Altmüller-Lubarsch: „Gut, so was kann jeder wählen! Aber wer wählt denn so was, hä?“

Genau wie ihre Konkurrenz, die Grauen Panther, stellen sich „Die Alternativen Alten – Bewegung Zitteraal“ wieder zur Wahl, wie immer mit neuen Kandidaten. Die Alternativen Alten träumen von einem radikalen Generationswechsel in der Politik, doch ihre Aussichten, den arrivierten Parteien die Hüfte auszukugeln, dürften eher gering sein.

Kaum besser riecht die „Kinderpartei“. Zu ihren zentralen Forderungen gehören täglich ein Eis, Taschengeld auf Staatskosten sowie die Schaffung einer kindgerechten Welt ohne Krieg, Hausaufgaben und Erwachsene, wenn nötig mit blutiger Gewalt auf einem Berg von Leichen.

Weniger weit vergaloppiert sich die „Radikalmonarchistische Sammlung“ des Barons Rüdiger Knack von Popelsdorf. Sie erstrebt nach englischem Vorbild eine von Gottes Gnaden ernannte Krone und fordert eine Eherechtsreform, damit Geschwister einander heiraten können und alles in der Familie bleibt. Der Graf von Berlin, Friedrich Wilhelm von Streifen, hat bereits Anspruch auf den Kaiserthron angemeldet. Zurzeit wischt er noch den Toilettenboden im Hotel Adlon.

Zahllose andere Gruppierungen bewerben sich, um in den Bundestag einzufahren und an den großen Beutel des Parteienfinanzierungsgesetzes zu kommen. Genannt seien noch die „Partei der Parteibuchbesitzer“, die „Union für direkte Demokratie ohne uns“ und die „Verfickte Sexpartei“, deren radikaler Flügel die Freigabe von allem fordert: „Wir wollen einfach nur die Männer wie erwachsene Frauen behandeln dürfen“, lechzt ein ungenannter Wahlkämpfer zwischen seinen Terminen. Die Verfickte Sexpartei will außerdem das Kinderkriegen vermehrt fördern und plädiert in Sachen Zuwanderung liberal für eine spürbare Herabsetzung des Nachzugsalters.

Alle diese Bewerber werden am 22. September den etablierten Parteien kaum über die Leber laufen. Am ehesten Chancen austüfteln dürfte sich noch die „Partei der Nichtwähler“, die von Wahl zu Wahl an Anhängern gewinnt. Doch bis sie erstmals den Bundeskanzler, die Regierung und das Parlament stellt, ist es ein weiter Weg. Zudem konkurriert mit ihr Kopf um Kopf die Partei „Jeder Mensch sein eigener Staat!“ unter Vorsitz der Republik Hans Meier, Lotzestraße 11, 34125 Kassel.

Die meisten kleinen Parteien machen im besten Fall den erwachsenen Parteien die Politik ein wenig sauer, aber werden nach dem Wahltag in die ewigen Jagdgründe des Vergessens fahren. Womöglich nicht nur sie, denn siehe, vielleicht erfüllt sich die Weissagung der „Partei der Zeugen des Weltuntergangs Christi“: Sie hat für den 22. 9. 2002 die Apokalypse angekündigt, falls das Stimmvieh sie nicht wählt. PETER KÖHLER