Vereint reden, getrennt agieren

Die EU sucht nach einer gemeinsamen Position im Irak-Konflikt. Anders als die Bundesrepublik will Großbritannien an militärischer Drohung festhalten

„EU bemüht sich um gemeinsame Position“, wäre auch richtig – und klingt gleich viel besser

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die Bewertungen könnten kaum gegensätzlicher sein. Während einige Beobachter meinen, die EU-Außenminister hätten am Wochenende bei ihrem Treffen im dänischen Helsingör eine einheitliche Position gegenüber den USA gefunden, sehen andere die 15 Staaten unverändert gespalten: die Briten kriegsbereit in unverbrüchlicher Bündnistreue, die Franzosen traditionell USA-skeptisch und Sprachrohr des UN-Sicherheitsrates, die Deutschen mäßigend und vor dem möglichen Flächenbrand warnend, den ein Krieg gegen Saddam Hussein in der arabischen Welt auslösen könnte.

„EU findet keine gemeinsame Position zu Krieg gegen Irak“, titelte die Nachrichtenagentur Reuters gestern – und das ist nicht verkehrt. „EU bemüht sich um gemeinsame Position im Irak-Konflikt“, wäre aber ebenso richtig gewesen – und klingt gleich ganz anders. So hatte der britische Außenminister Jack Straw noch zu Beginn des Treffens gesagt, militärische Gewalt sei der nächste Schritt, wenn die Waffeninspekteure der UNO nicht in den Irak zurückkehren dürften. Nach den Gesprächen mit seinen Kollegen äußerte er sich zurückhaltender. Das Ultimatum sei lediglich ein Vorschlag aus dem britischen Parlament und nicht bindend für die Regierung.

Die Sunday Times berichtete dagegen gestern, der britische Premier Tony Blair habe George Bush bereits am Donnerstag in einem Telefonat empfohlen, Hussein vor einer möglichen Militäraktion ein Ultimatum für die Wiedereinreise der UN-Inspekteure zu stellen. Am 11. September trifft der britische Verteidigungsminister Geoff Hoon in Washington mit seinem US-Kollegen Donald Rumsfeld zusammen. Dabei soll nach Informationen des Observer geklärt werden, wie Großbritannien ei-nen möglichen amerikanischen Militärschlag gegen den Irak unterstützen könnte.

Vereint vage formulieren, getrennt konkret agieren – so lässt sich ein Jahr nach den Terroranschlägen die Haltung der EU-Staaten zur US-Politik umschreiben. Daran kann sich nichts ändern, solange eine im Sechsmonatsrhythmus wechselnde Präsidentschaft jeweils eigene Schwerpunkte setzt. Der seit 1. Juli amtierende dänische Außenminister Per Stig Moeller vertritt ein Land, das sich an der gerade entstehenden Verteidigungsunion gar nicht beteiligt. Mit ähnlicher Überzeugungskraft könnte Tony Blair verlangen, den Euro-Stabilitätspakt zu lockern.

Auch im Streit um den Internationalen Strafgerichtshof wird weiter nach einer Zauberformel gesucht. Hier geht es darum, die USA zu beruhigen, ohne die neue Institution zu beschädigen. Kommenden Mittwoch sollen in Brüssel Rechtsexperten der Mitgliedsstaaten einen Weg erarbeiten (siehe Kasten). Nach Überzeugung der EU-Juristen gibt es eine solche Formel allerdings nicht. Der konservative EU-Parlamentarier Elmar Brok, der dem Auswärtigen Ausschuss vorsitzt, bewertet die Befragung juristischer Fachleute als Ablenkungsmanöver: „Dieser Konflikt lässt sich nicht juristisch lösen. Die Politiker müssen eine gemeinsame Haltung finden – und sie gut begründen“, sagte er der taz.

„EU findet keine gemeinsame Position“, titelte eine Agentur – und das ist nicht verkehrt

Der italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi hatte zu Beginn des Treffens gesagt, er wolle das von den USA geforderte Sonderabkommen unterzeichnen, das Soldaten bei „Friedenseinsätzen“ von der Strafverfolgung ausnimmt. Die USA wollen damit erreichen, dass ein GI in keinem Fall vor dem neuen Gericht in Den Haag angeklagt werden kann. Die EU-Kommission hatte in einem Rechtsgutachten festgestellt, dass derartige Abkommen mit dem Statut des Gerichts nicht vereinbar sind. Dieses Statut haben alle EU-Staaten unterzeichnet.

Während Berlusconi ähnlich wie der britische Außenminister Straw zunächst betonte, die EU müsse in dieser Frage nicht einheitlich handeln, sagte er zum Abschluss des Treffens in Helsingör, Italien habe an einer gemeinsamen Position der EU großes Interesse. Er soll in den Beratungen zugesichert haben, nichts zu unternehmen, bis die EU-Position feststeht.

In einer wesentlich schwierigeren Zwickmühe befinden sich die Kandida-tenländer, die demnächst auf Mitgliedschaft in Nato und EU hoffen (siehe unten). Die USA drohen damit, im November in Prag den Beitritt zur Nato für jene Länder zu blockieren, die kein Sonderabkommen mit ihnen unterzeichnen wollen. Derweil kündigen die Europäer an, auf dem EU-Gipfel im Dezember in Kopenhagen all denen den Beitritt zu verbauen, die dem US-Druck nachgeben. Rumänien hat dennoch unterschrieben, nach dem Motto: Der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Denn zur ersten Runde neuer EU-Mitglieder im Jahr 2004 wird Rumänien auf keinen Fall gehören. Mit Aufnahme in die Nato kann das Land aber schon in diesem November rechnen.