: Verhärtete Fronten in Friedrichshain
Für Mittwochmorgen ist die Teilräumung des Hausprojektes Rigaer Straße 94 angesetzt. Letzte Verhandlungen zwischen Bewohnern und Bezirk blieben gestern ohne Ergebnis. Szene und Polizei üben sich schon mal in Drohgebärden
von TILL BELOW
Die Auseinandersetzung um die Rigaer Straße 94 geht in eine neue Runde. Die Räumung mehrerer Wohnungen und des Veranstaltungsraums „Kadterschmiede“ in dem Friedrichshainer Hausprojekt ist vom zuständigen Gerichtsvollzieher für Mittwochmorgen um 6 Uhr angesetzt. Noch herscht hektische Betriebsamkeit beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg. Doch die Chancen für eine Verhandlungslösung stehen schlecht. Erneute Gespräche zwischen Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) und Vertretern des Hausprojekts blieben gestern ohne Erfolg.
Die Rigaer Straße 94 war 1990 besetzt worden. Später erhielten die Bewohner einen so genannten Rahmenmietvertrag, den der heutige Hauseigentümer aber vor Gericht annullieren ließ. Ende Mai war die Teilräumung schon einmal in letzter Minute ausgesetzt worden. Der Senat hatte den Exbesetzern ein Ersatzhaus in der Simplonstraße angeboten. Die „Rigaer“ wollten jedoch nur umziehen, wenn bisherige Mieter dort nicht durch ihre Umsetzung vertrieben würden. Die Umzugskartons blieben leer.
Schuld daran ist laut Reinauer die Realitätsverweigerung der Exbesetzer. Für die war der Charakter ihres Wohn- und Kulturprojekts gefährdet, da es in der Simplonstraße keine Räume für den Kulturverein gibt. Das Bezirksamt hatte zuletzt separate Gewerberäume für den Kulturverein und die Kadterschmiede angeboten.
Simon aus der Pressegruppe der „94“ betont, dass man nicht aus Bockigkeit den Umzug verweigere: „Wir wollen eine Lösung für das gesamte Projekt.“ Die Exbesetzer kritisieren die Verhandlungsweise des Senats. Senat und Bezirk betrieben eine Art Feuerwehrpolitik. Angebote gebe es erst im letzten Moment, an substanziellen Verhandlungen bestehe aber anscheinend kein Interesse.
„Mich ärgert persönlich, dass die Hausbewohner behaupten, wir wären ihren Gesprächsangeboten nicht nachgekommen“, entgegnet Reinauer. Vorgeschlagene Ersatzräume für die „Kadterschmiede“ hätten die Bewohner abgelehnt. Ein Umzug in deren Wunschquartier, die leer stehende Böcklinschule, sei wiederum nicht möglich, da bereits Kaufangebote von Investoren vorliegen, so die Bezirksbürgermeisterin. Die „Rigaer“ sahen sich daraufhin gestern „gezwungen, uns die Schule zu nehmen“.
Der Rigaer Kiez bereitet sich derweil auf die Räumung vor. Eine Schlafplatzbörse wurde eingerichtet. Die Kneipe „X-B-Liebig“ im Nachbarhaus wird die ganze Nacht offen sein, und für Mittwoch ist eine Livesendung von Radiopiraten auf der UKW-Frequenz 95,1 geplant.
Die Paranoia auf allen Seiten treibt bereits erste Blüten. Als der Sparmarkt in der Rigaer Straße am Samstag seine Schaufenster verbarrikadierte, ging im Kiez sofort das Gerücht herum, die Räumung stünde schon für Sonntagmorgen an. Bereits am vorvergangenen Wochenende war es zu Auseinandersetzungen vor dem Haus gekommen. Die Polizei nahm mehrere Personen vorübergehend fest. Nach Angaben der Betroffenen wegen „Biertrinkens in der Öffentlichkeit“ und „nächtlichen Rumlungerns auf Gehwegen“.
„Wir werten das als Provokation der Polizei, die sich schon mal warm laufen will“, meint Hausbewohner Simon. Auch die „Rigaer“ laufen sich warm. „Wenn Räumung, dann Beule“, heißt es auf deren Homepage. „Wir sehen uns – auf den Barrikaden“. Der Widerstand gegen die Räumung habe jedoch nicht die „militärische Konfrontation mit den Bullen“ zum Ziel, sondern solle die Räumung „politisch nicht durchsetzbar“ machen.
Vorsorglich macht der Bezirk weitere Unterstützung der Bewohner bei Verhandlungen mit den Hauseigentümern von einer „friedlichen Lösung“ abhängig.
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