Nur Essener klatschen

Bayer Leverkusen steht bei Drittligist Rot-Weiß Essen kompakt und gewinnt so das DFB-Pokalspielmit 1:0. Derweil feiern die Essener Fans ihre Tradition – und dass sie schon mal Meister waren

aus Essen MARTIN TEIGELER

Mit der Macht der Vergangenheit wollte Fußball-Regionalligist Rot-Weiß Essen am Sonntagabend Bayer Leverkusen bezwingen. Jedenfalls hatte der Traditionsklub aus dem Ruhrgebiet zu seinem „Spiel des Jahres“ einige Heroen der Vereinsgeschichte eingeladen, um Publikum und Mannschaft zu ermutigen. Essener Pokalhelden der glorreichen 50er- und 70er-Jahre, Recken wie Fritz Herkenrath und Willi „Ente“ Lippens, sollten im Georg-Melches-Stadion zu Glücksbringern werden. Und siehe da: Herkenrath, mittlerweile 74 Jahre alt und 1953 mit Rot-Weiß DFB-Pokalsieger, heizte den 20.000 Zuschauern an der Hafenstraße vor Spielbeginn kräftig ein und verkündete unter dem Jubel der Menge beschwörend: „Wir schaffen das heute!“ Doch alte Helden schießen keine Tore.

Essen hat keinen Fritz Herkenrath mehr und erst recht keinen „Ente“ Lippens. Die biedere RWE-Mannschaft von 2002 kämpfte zwar aufopferungsvoll gegen den Favoriten, doch am Ende obsiegte die „Papierform“. Leverkusen errang den glanzlosesten aller möglichen Siege und gewann 1:0. Der Regionalligist war hilflos gegen eine traurig defensive Werkself. Kurzum: Rot-Weiß Essen demonstrierte vor den Augen seiner einstigen Helden die Beschränktheit eines Drittligisten. Soll heißen: Kaum spielerische Linie, stattdessen „lange“ Bälle und Torschüsse in den flutlichtbeschienenen Essener Abendhimmel. Leverkusen wiederum ging nach drei sieglosen Spielen in der Bundesliga auf Nummer sicher und bot hundslangweiligen Kontrollfußball. Gehemmt und aufreizend behäbig agierte Bayer dabei, Leverkusen Torwart Frank Juric kassierte gar eine gelbe Karte wegen Spielverzögerung, als noch sechzig Minuten zu absolvieren waren. Die Leverkusener Führung ergab sich entsprechend aus einer Standardsituation. Nach einem Eckball in der 24. Minute bediente Carsten Ramelow Weltmeister Lucio, der ungehindert einköpfen konnte. Essen benötigte weitere 20 Minuten, um zu einer ersten Torchance zu kommen: Erst in der 44. Minute setzte sich RWE-Mittelfeldspieler Borislav Tomoski endlich einmal in Strafraumhöhe durch. Sein Drehschuss wehrte Leverkusens Ersatztorwart Juric, der für den angeschlagenen Nationalkeeper Jörg Butt zwischen den Pfosten stand, jedoch lässig ab.

Nach der Pause kam bei Essen zum Willen und Kampf endlich eine Prise Überlegtheit dazu. Angetrieben vom Ex-Bochumer Heiko Bonan besetzten die Rot-Weißen die Spielhälfte des Bundesligisten und kamen zu leidlich gefährlichen Torgelegenheiten. Doch die Stürmer in Essen heißen eben nicht mehr „Penny“ Islacker und Helmut „Boss“ Rahn, sondern Achim Weber und Erwin Koen. Trotzdem musste Leverkusen bis zum Schlusspfiff des kleinlichen Schiedsrichters Herbert Fandel zittern, weil auch Thomas Brdaric und Nationalspieler Bernd Schneider gute Konterchancen verstolperten.

Angesichts des ersten Saisonerfolgs redete sich Leverkusens Trainer Klaus Toppmöller den Zittersieg schön. „Dieser Erfolg ist gut für unser Selbstvertrauen“, sagte Toppmöller und beklagte sieben fehlende Stammspieler. Was ihm an seiner Mannschaft gefallen habe? „Wir haben kompakt gestanden“, antwortete Toppmöller. Kompakt stehen gegen einen Regionalligisten – man ist offenbar bescheiden geworden beim Champions-League-Finalisten. In der nächsten Bundesligapartie gegen Rostock werde man jedoch eine andere Bayer-Elf erleben, versprach Toppmöller zum Abschied und lobte artig den „zweitligareifen“ Auftritt der eigentlich drittklassigen Essener.

So ärgerten sich auch die RWE-Verantwortlichen nicht über die Niederlage, sondern freuten sich wie Essens Trainer Harry Pleß über die „tapfere Leistung“ ihrer Mannschaft. Auch Essens Fußball-Legenden nahmen ihren unzulänglichen Nachfolgern den Misserfolg nicht krumm. An der Hafenstraße genoss man den stimmungsvollen Fußballabend – sogar die berüchtigten RWE-Fans blieben friedlich. Nach Spielende feierten Tausende sich selbst, ihren Klub und seine große Vergangenheit. „Wer schon Meister war, der klatsche in die Hand!“, johlten sie in Richtung Leverkusener Anhang. Tradition gewinnt zwar keine Spiele, kann aber ungemein tröstlich sein.