Tuvalu rettet den Umweltschutz vor der WTO

Mit anderen Ländern erreicht der Inselstaat, dass der Einfluss der WTO begrenzt bleibt. Zähe Verhandlungen bei allen Themen

JOHANNESBURG taz ■ Es kommt nicht häufig vor, dass Äthiopien und der Inselstaat Tuvalu den Gang der Weltpolitik beeinflussen. In den frühen Morgenstunden des Montag war es so weit. Auf dem Tisch zwischen den übermüdeten Unterhändlern beim Weltgipfel lag ein Vorschlag, der den internationalen Umweltschutz unter die Vorherrschaft der Welthandelsorganisation WTO zu stellen drohte. UN-Abkommen sollten demnach mit WTO-Regeln übereinstimmen – ein Passus, gegen den die deutsche Delegation solange Einspruch erhoben hatte, bis sie in der EU isoliert war. Dann hatte die EU gegen die Passage nichts mehr einzuwenden und die Umweltverbände begannen hektisch mit Lobbyarbeit. Für sie stand auf dem Spiel, dass „die WTO den UN-Gipfel in Geiselhaft nimmt“, wie sie wiederholt erklärten.

Rettung nahte von ungewohnter Stelle. Norwegen und die Schweiz (zwar erst ab dem 10. September UN-Mitglied, aber in den Verhandlungen aktiv) erhoben Bedenken, dann stimmten Tuvalu und Äthiopien dagegen. Und plötzlich bestand auch die gesamte Gruppe der G 77 und China nicht mehr auf der Regelung. Die Textpassage wurde gestrichen. Erleichterung bei den NGOs.

Auch an anderen Stellen gibt es Erfolge für die Gruppen und Staaten, die auf Fortschritte bei der Umwelt- und Entwicklungspolitik drängen. Einen Durchbruch feierte die europäische Delegation bei der Wasserfrage: Auch die USA stimmten der Verpflichtung zu, bis 2015 die Zahl der Menschen ohne Anschluss an Abwassersysteme zu halbieren – ein zeitliches und zahlenmäßiges Ziel, das die USA immer abgelehnt hatten. Auch nimmt der Text die Forderung der Umweltverbände und einiger Staaten auf, eine Haftung für globale Unternehmen „durch zwischenstaatliche Regelungen aktiv voranzutreiben“. Bei den Vereinbarungen zur Biodiversität wurde zwar der bisherige Text verwässert und die Jahreszahl 2015 für den Stopp des Artensterbens ebenso entfernt wie die Erwähnung des Vorsorgeprinzips. Dafür aber gab es eine Annäherung in der Frage, wie die Ursprungsländer von exotischen Pflanzen und Tieren an den Gewinnen aus diesen Ressourcen zu beteiligen sind. Schließlich lobt Greenpeace den Textteil, der den Abbau von Subventionen für die Fischereiindustrie ankündigt. Und die NGOs sind froh, dass die beiden zentralen Prinzipien von Rio, das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der Verantwortung des Nordens für die Entwicklung des Südens, „offenbar vom Gipfel bekräftigt worden sind“.

Die Liste der Rückschläge ist für die NGOs trotzdem noch lang. So sind etwa die zentralen Fragen des Abbaus von Subventionen für die Agrar- und die Energieindustrie in den Industrieländern nicht angesprochen, heißt es aus der deutschen Delegation. Auch bei der Frage der Marktöffnung verweist der UN-Gipfel auf das Ergebnis der Konferenz von Doha zu einer neuen Welthandelsrunde. Die Einigung bei Chemikalien und Fischereiquoten sehen Umweltverbände als Rückschritte hinter Rio.

„Die Formulierungen sind so wolkig, dass sie kaum die Erde berühren“, ist auch eine Meinung der deutschen Delegation über den Entwurf der politischen Abschlusserklärung, der gestern vorgelegt wurde. Der Text bestätigt die Verpflichtungen von Rio und legt einen Schwerpunkt auf Armutsbekämpfung und Hilfe für Afrika. Er erwähnt das Prinzip der Haftung von Unternehmen, schweigt sich aber über das Vorsorgeprinzip aus. Vor allem tritt der Text ohne direkte Erwähnung der USA für eine stärkere Stellung der internationalen Zusammenarbeit ein: „Multilateralismus ist die Zukunft“, heißt es.

Als überraschendes Hindernis und Altlast der Verhandlungen von Bali erweist sich ein Abschnitt über die Rechte von Frauen beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Der Abschnitt in seiner jetzigen Form räumt ein, dass dieser Zugang „gemäß nationalen Gesetzen und kulturellen und religiösen Werten“ erfolgen kann. Frauenorganisationen warnen, dass diese Formulierung Frauen vom Zugang zu Verhütungsmitteln ausschließen, die Ausbreitung von Aids fördern und z. B. die Beschneidung von Frauen rechtfertigen könnte. Auch in der deutschen Delegation gibt man sich entschlossen, diesen Text so nicht zu akzeptieren. Das Problem: Länder wie Iran und die USA bestehen darauf, dass der Text bereits in Bali beschlossen wurde und nicht mehr zu verhandeln sei.

Immer noch können sich die Unterhändler nicht über das Thema Energie einigen. Dem Vorschlag der EU, 15 Prozent regenerative Energien bis 2010 global festzuschreiben, steht bei den USA und der G 77 eine unverbindliche Regelung gegenüber. Mit einer Einigung wird nicht vor Dienstag früh gerechnet – während die Reden der Staatschefs im Plenum weitergehen, wird in den angrenzenden Hinterzimmern heftig gefeilscht. BERNHARD PÖTTER