Flucht in deutsche Botschaftsschule

15 Nordkoreaner haben sich in Peking auf das Gelände der deutschen Botschaftsschule geflüchtet und hoffen jetzt aufihre Ausreise, vermutlich nach Südkorea. Erst am Vortag vereitelte die chinesische Polizei einen ähnlichen Fluchtversuch

aus Peking GEORG BLUME

Plötzlich ist die deutsche Idylle in Peking dahin. Zitternd verlassen gestern Nachmittag die Kleinen ihre Spielzimmer im Kindergarten der „Deutschen Botschaftsschule Peking“, um durch einen Notausgang das Freie zu erreichen. Draußen vor dem Haupttor marschieren chinesische Polizeieinheiten auf. „Warum müssen wir nach Hause“, fragt ein deutsches Kind. „Ist die chinesische Polizei böse?“

Keine leichte Frage. Der ganze Schulbetrieb kommt zum Halt, weil an der Tür des Direktorzimmers 15 ungebetene Gäste aus Nordkorea um Hilfe bitten. Als man sie nicht einlässt, bleiben die Männer und Frauen im Alter zwischen 30 und 40 Jahren auf einer Treppe sitzen. Ängstlich blicken sie zu den Polizeieinheiten. Dort wartet ein Gefangenentransporter mit offenen Türen.

Dies ist der letzte gefährliche Moment einer abenteuerlichen Flucht. Die Polizei könnte das Gelände stürmen, so wie am Vortag, als eine Gruppe Nordkoreaner vergeblich versuchte, in Ecuadors Botschaft Zuflucht zu finden. Doch dann ist der deutsche Botschafter zur Stelle, um am Schultor Wache zu halten. Joachim Broudré-Gröger zeigt, dass sich die deutsche Diplomatie nicht verstecken will. Er wolle verhindern, betont der Botschafter, dass die Polizei auf das Gelände komme. Von da an sind die Nordkoreaner in Sicherheit.

Es sind Flüchtlinge aus dem Land des Diktators Kim Jong Il. Er lässt sein Volk seit Jahren hungern. Fluchthelfer, vermutlich aus Südkorea, haben ihnen den Weg auf das diplomatische Gelände der deutschen Schule geebnet. Als die Flüchtlinge die Schulmauer erklimmen, hören Lehrer und Schüler ihren Jubel. Eine Begrüßung aber bleibt aus. Deutsche und Nordkoreaner begegnen sich wortlos, bis am Abend die diplomatischen Verhandlungen einsetzen. „Wir wollen die Dinge rasch und auf humanitärem Weg voranbringen“, versichert ein deutscher Diplomat. Für das Essen und die Unterbringung der Flüchtlinge in der Schule werde die deutsche Seite bei Bedarf sorgen.

Etwa 80 Nordkoreaner haben seit März auf dem mühseligen Weg über meist westliche Botschaftsvertretungen in China die Freiheit in Südkorea erreicht. Bislang führen die Verhandlungen über ihr Schicksal stets zur Ausweisung an ein Drittland, von dem sie dann nach Südkorea reisen. Flüchtlingsorganisationen wollen mit den spektakulären Fluchtversuchen den gleichen Effekt erzeugen, den 1989 die Massenflucht von DDR-Bürgern in die bundesdeutsche Mission in Prag hatte. Doch das Risiko für die, die mitmachen, ist hoch: Ein Abkommen zwischen China und Nordkorea garantiert bei einer Verhaftung in der Volksrepublik die Auslieferung an Nordkoreas Behörden. Ist die chinesische Polizei also tatsächlich böse?

Nicht nur die chinesische, auch die westliche Außenpolitik gegenüber Nordkorea befindet sich in dem Dilemma, dass allen das Interesse an einem friedlichen und langsamen Wandel auf der hochgerüsteten koreanischen Halbinsel gemein ist – nur die vom Hunger getriebenen Flüchtlinge wollen nicht länger warten. Für deren Anliegen treten gestern auch die meisten Schüler der deutschen Schule ein. Sie haben schließlich hinübergelugt, dem ein oder anderen gar in die Augen geschaut und versuchen nun deren Lage nachzuempfinden. Natürlich würde es ihnen nichts ausmachen, wenn diese einige Nächte in der Turnhalle verbringen, sagen die älteren Schüler. Gern geben sie den Journalisten Interviews. Die Kleinen im Kindergartenalter aber verspüren noch Angst. Sie können das Ereignis noch nicht vom Medienereignis trennen und stehen damit den Flüchtlingen emotional am nächsten.