Reformeifer kurz vor Toresschluss

Bundesminister Eichel (SPD) will die Finanzaufsicht stärken, um Aktiengesellschaften und Wirtschaftsprüfer zu kontrollieren. Lob und Kritik für die „Bilanzpolizei“, die nach der Wahl gegründet werden soll. Selbstregulierung der Wirtschaft reiche nicht

von HANNES KOCH

Gemischte Reaktionen hat gestern Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) mit seinen Plänen ausgelöst, Aktiengesellschaften schärfer zu kontrollieren. Während das deutsche Aktien-Institut das Vorhaben als „reinen Wahlkampf“ bezeichnete, deuteten die Deutsche Börse AG in Frankfurt am Main und der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) grundsätzliche Zustimmung an.

In einer Rede vor der Frankfurter Börse erklärte Eichel, dass er das Funktionieren des Kapitalmarktes in Deutschland durch diverse Skandale und Betrugsfälle während des New-Economy-Booms für gefährdet hält. Der Finanzminister registriert „eine allgemeine Verunsicherung mit abträglichen Konsequenzen“ für die Finanzierung der Wirtschaft. Immer weniger Leute hätten Lust, ihr Geld an der Börse zu investieren. Die Zahl der deutschen Aktionäre habe von Ende 1999 bis Ende 2001 um 2 Millionen auf 11,5 Millionen abgenommen.

Weil „freiwillige Standards und Selbstverpflichtungen der Marktteilnehmer nicht genügen“, so Eichel, plane er für die nächste Regierungsperiode einen umfassenden „Finanzmarkt-Förderungsplan 2002–2006“. Das Kernstück ist eine sogenannte „Enforcement-Stelle“, vulgo „Bilanzpolizei“. Diese neue Kontrollinstanz soll börsennotierte Unternehmen überprüfen, ihre Bilanzen durchleuchten und ohne Vorwarnung in den Vorstandsbüros erscheinen dürfen.

Ihre Zuständigkeit soll weiter gehen als bisher: Auch Unternehmen, die nicht dem Kreditwesen- oder Versicherungsaussichtsgesetz unterliegen, müssen mit den Besuchen rechnen. Damit will Eichel verhindern, dass Unternehmen wie die Bankgesellschaft Berlin ihre horrenden Immobilienrisiken in Tochtergesellschaften auslagern, die dem Zugriff der Kontrolleure entzogen sind.

Nach den Vorstellungen des Finanzministers soll die Kontrollstelle privatrechtlich organisiert werden – etwa als GmbH. Sie müsse aber der Aufsicht des Bundesamtes für Finanzdienstleistungsaufsicht (BAFin) unterstehen, um den Einfluss des Staates sicherzustellen.

Die Enforcement-Stelle soll auch das Recht haben, „bestimmte Wirtschaftsprüfer abzulehnen und andere Prüfer zu verlangen“. Gerade an der Arbeit der Wirtschaftsprüfer, die die Bilanzen der Firmen testieren, hat sich in den vergangenen Monaten massive Kritik entzündet. Mehrere große Unternehmen wie der US-Energiekonzern Enron haben mit Billigung der Prüfer ihre Bilanzen derart manipuliert, dass Milliardenschäden zu Lasten der Anleger entstanden.

Die Kontrolle der Prüfer wolle man in Zukunft nicht mehr „der Wirtschaftsprüferkammer alleine überlassen“, sagte Eichels Sprecher Thomas Gerhardt. Sollte das Finanzministerium diesen Punkt zusammen mit den anderen wie beabsichtigt bald in Gesetzesform gießen, stehen ihm allerdings noch einige Diskussionen ins Haus. Die Wirtschaftsprüferkammer wehrt sich mit Nachdruck dagegen, eine ihrer ureigensten Aufgaben an eine neue Behörde abgeben zu müssen.

Diese jüngsten Vorschläge des Finanzministers basieren auf einem „10-Punkte-Plan“, den er in der vergangene Woche mit Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin und Wirtschaftsminister Werner Müller veröffentlichte. Darin enthalten ist außerdem, dass Vorstände und Aufsichtsräte von Aktiengesellschaften gegenüber den Anlegern in Zukunft persönlich haftbar sind. Die Bundesregierung will damit die Veröffentlichung von Falschinformationen verhindern. Eichel: „Die mitunter geäußerte Vorstellung, deregulierte Finanzmärkte selbst seien die wirkungsvollste Kontrollinstanz wirtschaftlichen Handelns, hat sich als eine Fehleinschätzung erwiesen.“