Fischers Einfluss: begrenzt

Nur ein Thema interessiert ihn wirklich: Europa, einschließlich Israels

von BETTINA GAUS

Was wird er machen, falls er nach der Wahl nicht Außenminister bleiben kann? Die Frage nach der beruflichen Zukunft von Joschka Fischer erörtern politische Beobachter in diesen Wochen immer mal wieder gerne. Eine andere Frage wird hingegen so gut wie nie gestellt – nämlich die, welche Auswirkungen ein Machtwechsel auf die deutsche Außenpolitik haben könnte. Dem ersten grünen Politiker, der es bis ins Auswärtige Amt gebracht hat, ist etwas gelungen, was ihm noch vor vier Jahren kaum jemand zugetraut hatte: die Rahmenbedingungen deutscher Außenpolitik als so unverrückbar erscheinen zu lassen, dass es nun für ziemlich gleichgültig gehalten wird, ob der populärste deutsche Politker eines der wichtigsten Staatsämter innehat oder nicht.

Nach dem überraschenden Wahlsieg der rot-grünen Koalition 1998 hatten das weder Fischers Anhänger noch seine Gegner erwartet. Die einen hofften auf eine Blockade des Schleichweges hin zu dem, was sie als Militarisierung der Außenpolitik bezeichneten. Die anderen befürchteten Chaos und bündnispolitische Verwerfungen. Gleich zu Beginn seiner Amtszeit machte Joschka Fischer deutlich, wessen Beruhigung ihm besonders am Herzen lag: Es gebe keine grüne, sondern nur eine deutsche Außenpolitik, so betonte er. Dafür erhielt er den – zunächst noch zögerlichen – Beifall seiner bisherigen Widersacher. In der Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 steht der Satz: „Die neue Bundesregierung wird die Grundlinien deutscher Außenpolitik weiterentwickeln.“

Was war unter diesen Grundlinien zu verstehen? Am Ende der Legislaturperiode steht eine Bilanz, die zu deren Beginn wohl auch die meisten Unionspolitiker kaum als „Weiterentwicklung“ der deutschen Außenpolitik bezeichnet hätten: ein Angriffskrieg auf Jugoslawien ohne völkerrechtliche Grundlage, die deutsche Beteiligung an einem Krieg gegen Afghanistan, über deren Einzelheiten die Parlamentarier des Bundestages – im Unterschied zu US-Abgeordneten – wegen angeblicher Sicherheitsrisiken nicht informiert werden, und die Diskussion über die mögliche Teilnahme an einem Krieg gegen den Irak, der vorrangig dem erklärten Ziel der Beseitigung eines Staatschefs gilt. Was dem bislang noch geltenden Völkerrecht eindeutig widerspricht.

Joschka Fischer und seine Mitstreiter verwahren sich gegen eine Deutung rot-grüner Außenpolitik, die vor allem im Zeichen der wachsenden Bedeutung des Militärs beurteilt wird. Sie betonen, dass es schließlich Fischer gewesen sei, der den Stabilitätspakt für den Balkan entwickelt und Russland sowie die Vereinten Nationen nach dem Ende des Kosovokrieges „ins Boot“ geholt habe. Darüber hinaus habe er bereits mit der Ernennung eines Menschenrechtsbeauftragten und auch mit seiner Forderung nach Demokratisierung der Europäischen Union andere Schwerpunkte gesetzt als die frühere Regierung.

Dem lässt sich mit guten Argumenten widersprechen. Den Namen des Menschenrechtsbeauftragten Gerd Poppe dürften weniger als die knapp 7 Prozent der Bevölkerung kennen, die vor vier Jahren die Grünen gewählt haben, und das ist kaum einem allzu geringen Interesse der Öffentlichkeit am Thema anzulasten. Moskau und Tschetschenien, China und die Todesstrafe, Afrika und der Rest der Welt: die Frage, welches Gewicht der Durchsetzung von Menschenrechten beizumessen ist, hat sich auch unter der rot-grünen Regierung vor allem am Maßstab der eigenen strategischen und wirtschaftlichen Interessen orientiert. Rüstungsexporte im Wert von 5,6 Milliarden Mark wurden im Jahr 2000 von der Koalition genehmigt. 92 Staaten erfüllten die angeblich menschenrechtsorientierten Kriterien der rot-grünen Regierung, darunter die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate, Indien und Pakistan.

Seit längerer Zeit bereits klagen Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes darüber, dass sich ihr Arbeitsgebiet immer stärker von der Bemühung um diplomatische Initiativen hin zu Wirtschaftslobbyismus verlagert. Daran hat sich unter Joschka Fischer nichts geändert. Ein rohstoffarmes Land tut nach wie vor gut daran, die Menschenrechte zu beachten und die so genannte freie Marktwirtschaft zum wünschenswertesten aller Wirtschaftssysteme zu erklären. Die Regierung eines Landes, das über Öl verfügt, darf ihre machtpolitischen Interessen mit größerem Nachdruck durchsetzen als die armen Verwandten der Region, die keine Reichtümer ihr Eigen nennen.

Er habe sich früher „furchtbar geärgert“ über die Angriffe der Opposition auf die Menschenrechtspolitik der Union, sagte kürzlich der scheidende CDU-Außenpolitiker Karl Lamers in einem taz-Gespräch, „und zwar weil sie unterstellten, wir hätten kein Herz im Leib“. Gleichzeitig aber habe er gehofft, „dass denen vielleicht mehr einfällt“. Diese Hoffnung hat sich seinem Bekunden zufolge nicht erfüllt. Heute nennt Lamers den grünen Außenminister den „Hüter der deutschen Orthodoxie“, und er fordert: „Die deutsche Außenpolitik muss innovativer werden.“

Wäre ein solcher Satz von einem Friedensforscher geäußert worden, dann wäre ihm nicht nur der Spott des Außenministers, sondern auch die Häme fast der gesamten veröffentlichten Meinung gewiss. Renegaten waren seit je die besten Kronzeugen. Deshalb hätte es auch keinem anderen Politiker in vergleichbarer Weise wie Joschka Fischer gelingen können, alle militärkritischen Positionen dauerhaft zu diskreditieren.

Grundsätzliche Skepsis gegenüber dem außenpolitischen Kurs der westlichen Industrienationen äußern heute fast nur noch Politiker im Ruhestand. Der ehemalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher kleidet seine Kritik an der Hegemonalpolitik der USA in elegante Worte und meint, man müsse Amerika dazu bringen, die „multipolare Weltordnung“ anzuerkennen. Egon Bahr, einst Chefunterhändler von Willy Brandt, erklärt, die europäischen Streitkräfte müssten „das Schild Europas, sein, nicht das Schwert Amerikas“. Hört jemand zu?

Auf Wahlveranstaltungen der Grünen findet sich fast immer jemand, der Joschka Fischer als „Kriegstreiber“ beschimpft. Er zeigt sich angesichts von derlei Zwischenrufen regelmäßig ziemlich erfreut – und die Genugtuung ist ihm zu glauben. Schließlich erspart ihm diese recht schlichte Form der Kritik jede redliche Auseinandersetzung mit der Frage, welchen Stellenwert er heute dem Frieden als Wert noch beimisst.

Fischer betont, es gebe keine grüne, nur eine deutsche Außenpolitik

Tut man dem deutschen Außenminister Unrecht, wen man unterstellt, dass ihn die Frage von Krieg oder Frieden nicht nächtens umtreibt? Dass ihm auch das Schicksal der verelendeten Mehrheit der Weltbevölkerung nicht wirklich am Herzen liegt? Sondern dass er sich vielmehr nur für eine einzige Themenstellung wirklich interessiert – nämlich für Europa, vielleicht einschließlich Israels? Keine andere Ansprache von Fischer hat vergleichbar große Beachtung gefunden wie seine Rede im Mai 2000, in der er seine Vision der europäischen Zukunft skizzierte: für eine Demokratisierung der Union plädierte er darin, für eine europäische Föderation und für eine demokratisch legitimierte europäische Regierung.

Was ist daraus geworden? Bislang nichts. Wer die Politik von Joschka Fischer wohlwollend betrachtet, mag dies auf die allzu langsam mahlenden Mühlen der europäischen Staatengemeinschaft zurückführen. Wer seine Weltsicht kritisch beurteilt, dürfte eine Ursache der geringen Außenwirkung in Fischers allzu hohem Interesse für das Zentrum und seinem allzu geringen Interesse für die Peripherie sehen. Einem Problem also, das sich wie ein roter Faden durch seine Amtszeit zieht.

Vielleicht hat sich Joschka Fischer allzu lange am Rande der Gesellschaft bewegt, um heute – als Mann von Mitte fünfzig – noch die Bereitschaft aufzubringen, über die Mitte des Tellers hinauszuschauen. Als verbohrte Altlinke geißelte er lange die Globalisierungskritiker. Erst nach ungewohnt deutlicher Kritik aus den eigenen Reihen, unter anderem von seinem alten Weggefährten Daniel Cohn-Bendit, war er überhaupt bereit, deren Anliegen zur Kenntnis zu nehmen. Die dominierende Rolle der Welthandelsorganisation WTO ist für ihn bis heute kein bestimmendes Thema.

Für die Osterweiterung der Europäischen Union hat Joschka Fischer schon als Oppositionspolitiker gestritten. Ohne den Problemen großes Augenmerk schenken zu wollen, die infolgedessen an den neuen Außengrenzen der EU entstehen. Und allzu laute Kritik am US-Bündnispartner hält der deutsche Außenminister für falsch: Wer nicht mitmache, der könne keinen Einfluss gewinnen, so betont er immer wieder. Während er zugleich offen lässt, wann eine Frage auch in seinen eigenen Augen bedeutsam genug ist, um Einflussnahme – soweit irgend möglich – erzwingen zu wollen.

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes, die internationale Klimavereinbarung, die Kontrolle biologischer Waffen: all das scheint Joschka Fischer erheblich weniger interessiert zu haben als die eigene Bedeutung oder die Zukunft der rot-grünen Regierung. Was vielleicht einer der Gründe dafür ist, dass die Außenpolitik der rot-grünen Koalition vielen Gegnern von Edmund Stoiber nicht mehr als ausreichender Grund erscheint, um zur Wahl zu gehen.