Ein Hauch von Scheitern

Die Bilanz des Gipfels ist gemischt: Die Rio-Prinzipien wurden verteidigt, auf einigen Gebieten gibt es sogar Fortschritte

„Die UNO hat sich gerade noch einmal geweigert, der WTO beizutreten“

aus Johannesburg BERNHARD PÖTTER

Noch am Montagabend war Jürgen Maier vom Forum Umwelt und Entwicklung ganz optimistisch. „Wenn auch noch bei Energie etwas Vernünftiges rauskommt, dann haben wir ein richtig gutes Ergebnis.“ Zwei Stunden später war diese Hoffnung zerplatzt. Die Einigung zwischen der EU auf der einen und den USA und der G 77 auf der anderen Seite fordert zwar eine „substanzielle Zunahme“ bei den regenerativen Energien wie Wind, Solar, Wasserkraft und Biomasse, legt aber weder ein Zeitziel noch eine Quote für sauberen Strom fest. „Es ist schlimmer, als wir es uns vorgestellt haben“, kommentierte Steve Sawyer, Energieexperte von Greenpeace, das Ergebnis. Über dem UN-Gipfel wehte ein Hauch von Johannesgurk.

Denn gerade das Thema Energie hatten die Deutschen und die Europäer als zentral für einen Erfolg des UN-Gipfels zur nachhaltigen Entwicklung in Johannesburg angesehen. Den zwei Milliarden Menschen auf der Welt ohne Zugang zu Strom, Licht, Kühlschränken, Radio und Fernsehen eine umweltverträgliche Form der Elektrizität zu bringen, das sollte eines der beiden großen Ziele des Gipfels sein. „Energie und Wasser“ seien die wichtigsten Themen, die Nachhaltigkeit am deutlichsten verkörperten und deshalb am wichtigsten seien, hatten Heidemarie Wieczorek-Zeul und Jürgen Trittin betont: Mit einer Grundversorgung von Strom und Wasser bekämpfe man die Armut, verbessere die Gesundheit, steigere die wirtschaftlichen Chancen und schone die Umwelt. Für einen Erfolg auf diesem Gebiet hatte die EU bereits vor der Konferenz Abstriche gemacht. So schlug sie vor, bis 2010 auf insgesamt 15 Prozent Strom aus regenerativen Energien zu kommen – wo der Anteil bereits jetzt etwa 13 Prozent beträgt, wenn man die ökologisch problematischen Großstaudämme mitrechnet. Trotzdem wurde dem Vorstoß der EU am Montagabend von der Ölfront aus USA und Opec-Staaten das Licht ausgeblasen.

Greenpeace hatte die Energiefrage zur „Nagelprobe für Erfolg oder Scheitern des Gipfels gemacht“. Das einzig Positive an der Energielösung, so Campaigner Sven Teske, sei die Tatsache, dass es kein niedriges Ziel gebe: „Das hätte dann als Grenzwert gewirkt, der nicht überschritten wird.“ Ansonsten sei wichtig, dass der Gipfel das Thema internationale Umweltpolitik wieder auf die Tagesordnung gesetzt habe.

Eine Erleichterung ist allen NGOs anzumerken: Die Ergebnisse von Rio wurden gehalten. Auch das Vorsorgeprinzip und das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung für Umwelt und Entwicklung überstand den Gipfel relativ unbeschadet. Einen kleinen Erfolg verbuchten die NGOs, weil ihre Forderung nach einer internationalen Haftung für Unternehmen zumindest angesprochen wurde. Die Aktivisten hatten sich beschwert, dass die WTO mit ihren Regeln den UN-Gipfel als Geisel nehmen wollte. Dass der Versuch vereitelt wurde, internationale Umweltabkommen unter WTO-Regeln fallen zu lassen, ist für viele NGO-Vertreter dann auch einer der größten Erfolge des Treffens. Michael Frein vom Evangelischen Entwicklungsdienst, EED: „Die UNO hat sich gerade noch einmal geweigert, der WTO beizutreten.“

Trittin und Wieczorek-Zeul sehen die Bilanz wesentlich rosiger. Vor allem das zweite große Ziel der EU, die Sicherung von Wasser- und Trinkwasserversorgung für die Armen der Welt, sei erreicht worden, erklärten sie gestern. Auch sei es ein Erfolg, dass sich die USA trotz ihrer Ablehnung von Zeiten und Quoten auf das Ziel zur Beendigung des Artensterbens und zur Reduzierung der Folgen von Chemikalien eingelassen hätten. Die Regelungen zur Unternehmenshaftung, zur Fischerei, zur Überprüfung der Konsum- und Produktionsmuster in den Industriestaaten und die Erwähnung der „gemeinsamen öffentlichen Güter“ wie Luft und Meere gingen „in die richtige Richtung“.

Stillstand gab es in Johannesburg dagegen bei den Fragen von Subventionen für die Agrar- und Energiewirtschaft im Norden, bei den Exporthilfen für europäische Bauern und beim Marktzugang für die Entwicklungsländer. Nur wenn es hier Lösungen gebe, so hatten die G 77 vor dem Gipfel gedroht, werde es Zugeständnisse beim Umweltschutz geben. Im Aktionsprogramm wurde nun auf die Ergebnisse der Welthandelskonferenz von Doha verwiesen. Darin hatten die Industriestaaten zugestanden, ihre Subventionen mit dem Ziel der Abschaffung zu prüfen. Doch die G 77 wissen, dass sich die Staaten des Nordens hier ohnehin bewegen werden müssen. So stehen mit der Osterweiterung der EU und den WTO-Verhandlungen Reduzierungen bei den Agrarsubventionen an.

Ein UN-Gipfel zur nachhaltigen Entwicklung sei zu umfassend, um allen Themen gerecht zu werden, war eine Kritik an dem Treffen in Südafrika. In der Tat schwirrte jedem Teilnehmer der Kopf ob der Fülle von offiziellen, halboffiziellen, Seiten- und Gegenveranstaltungen. Dennoch wurden einige Themen gar nicht behandelt: Die Frage der Gentechnik etwa tauchte offiziell nicht auf – auch wenn in den Nachbarstaaten von Südafrika gerade eine Debatte geführt wird, ob die drohende Hungerkatastrophe mit genmanipuliertem Mais aus den USA bekämpft werden darf.

Nicht angegangen wurde auch das Thema einer Reform der Insitutionen beim weltweiten Umweltschutz. Weder eine Stärkung des chronisch unterfinanzierten UN-Umweltprogramms Unep, die Bildung einer Weltumweltorganisation WEO noch eine Stärkung der UN-Kommission zur Nachhaltigkeit CSD wurden diskutiert. Auch das Rio-Prinzip 10, die Beteiligung der Bürger an den Entscheidungen ihrer Verwaltungen, kam nur indirekt vor. Die Umweltgruppen bemängelten, dass es keine Debatte gegeben habe, welche ökologischen Schulden die Industrie- bei den Entwicklungsländern aufgehäuft hätten und wie diese zu begleichen seien.

„Rio war der Gipfel der Deklaration, Johannesburg muss der Gipfel der Aktion werden“, hatte Unep-Chef Klaus Töpfer immer wieder gefordert. Gemessen an dieser Aufgabe sei der Gipfel „im Großen und Ganzen gescheitert“, sagt Stefan Singer vom World Wide Fund for Nature WWF. „Es mangelt an Verpflichtungen, die Beschlüsse umzusetzen“ – das überlassen die Staaten hauptsächlich den freiwilligen Vereinbarungen mit der Industrie, den Typ-II-Ergebnissen. „Der Ergebnis des Gipfels ist keine Katastrophe“, meinte dagegen Chee Yke Ling von der NGO Third World Network. „Aber im Angesicht der Umweltzerstörungen wäre er eine Gelegenheit für die Regierungen gewesen, sich für diese Themen stark zu machen. In diesem Sinne ist der Gipfel eine Enttäuschung.“