Kino der Einverleibungen

In zeitlicher Nähe zu den China-Wochen: Das B-Movie zeigt mit „Hong Kong Love Affair“, „Metade Fumaca“, „Running Out of Time“ und „The Killer“ ein sich internationalisierendes Hongkong-Kino

Kaleidoskop aller denkbaren melancholischen Stimmungen

von CHRISTIANE MÜLLER-LOBECK

Hongkong ist längst nicht mehr der Rüpel unter den Kinos dieser Welt. Wohl fliegen in ihm auch heute noch – neben dem üblichen bleihaltigen Ballerwerk – Gullydeckel, gut angezogene Personen oder ganze Motorräder als Geschosse durch die Luft. Auch wer den demnächst anlaufenden Fulltime Killer von Johnny To ansieht, sollte sich entsprechend wappnen. Aber zugleich lässt sich an dem Film eine zunehmende Internationalisierung des Hongkong-Kinos ablesen.

Fulltime Killer treibt nicht nur in Wort und Bild die Bezüge zum US-amerikanischen und europäischen Kino auf die Spitze, in ihm sind, neben dem im Hongkong-Film gebräuchlichen Kantonesisch auch die Sprachen fast sämtlicher umliegender Nationen zu hören. Es wäre unfair, darin nur den Versuch zu sehen, alte, verloren geglaubte Absatzmärkte zurückzuerobern. Johnny To hat sich in der Krise, die die Übergabe an China für das Kino Hongkongs mit sich brachte, entschieden, das Publikum stets aufs Neue zu überraschen. Er gilt inzwischen neben Wong Kar-Wai als Garant eines Kinos, das den Vergleich mit dem westlicher Autorenfilmer nicht zu scheuen braucht.

Überprüfen lässt sich an den Filmen der beiden auch, dass es zu der befürchteten Gängelung des Kinos der ehemaligen Kronkolonie durch China nicht gekommen ist. Weder dies, noch ist eingetreten, was viele gerade deshalb heraufziehen sahen: eine Selbstzensur der Regisseure und Produzenten zugunsten einer Freigabe ihrer Filme für das chinesische Publikum. In zeitlicher Nähe zu den China-Wochen in Hamburg und einer entsprechenden Reihe im Metropolis zeigt das B-Movie in diesem Monat Filme aus Hongkong, die von der Übergabe im Jahr 1997 – sei es davor oder danach – wie elektrisiert scheinen.

John Woos Opus magnum The Killer suchte bereits 1989 Anschluss an das internationale Kino, indem es die Genrestücke des Hongkong-Kinos mit der Ästhetik eines Sam Peckinpah, dem existentialistischen Kino von Jean-Pierre Melville und der Melodramatik Douglas Sirks vereint. Sein Killer heißt Jeff, wie der eiskalte Engel Alain Delons, und wie dieser treibt Darsteller Chow Yun-Fat die Schönheit der Figur zu sexueller Ambivalenz. Seine Arbeit verrichtet der Profimörder, um einer blinden Sängerin eine Augenoperation zu ermöglichen. Die Beziehung zu seinem Gegenspieler, einem furchlosen Polizisten, ist, wie häufig in diesem Genre, nicht ohne homoerotische Züge. Woos Actionoper weist bereits eine melancholische Grundstimmung auf, die Hongkongs Filme über die Übergabe hinaus bis zur Jahrhundertwende begleiten sollte.

Auch Running Out of Time, wie The Killer im Programm des B-Movie, sucht in der Beziehung von Gangster und Bulle Missstände der Gesellschaft Hongkongs auf. Der „gute“ Gangster (Andy Lau, dem das Metropolis derzeit eine Filmreihe widmet) hat nur noch wenige Wochen zu leben und will sie nutzen, in einem komplizierten Coup sowohl seinen Vater zu rächen als auch seinen Gegenspieler, den allezeit traurigen Inspektor Sang, zu narren. Aber die beiden verhandeln schon auch mal das Verhältnis von Hongkong und England zur Teatime. Running Out of Time gehört zu einer Reihe von drei Filmen, die Johnny To – alle in berückende Blautöne getaucht und von ausgesprochen melancholischer Eleganz – im Jahr 1999 produzierte.

Einen Tod ganz anderer Art erwartet im selben Jahr den zwischen Verzweiflung und Lakonik changierenden Helden von Metade Fumaca: Leopard, einst ein wilder Triaden-Kämpfer, hat Alzheimer und will noch schnell, bevor ihm die Sinne ganz schwinden, eine alte Liebe wiederfinden. Als Erinnerung trägt er eine halb gerauchte Zigarette mit sich. Aus einem 30-jährigen Exil in Brasilien lässt Regisseur Riley Ip den Gangster in das inzwischen an China gegangene Hongkong zurückkommen. Dadurch vielleicht noch mehr verwirrt als durch die fortschreitende Demenz, entpuppen sich auch seine Erinnerungen an bessere Zeiten zunehmend als Phantastereien.

Eine Liebesgeschichte zwischen einem Migranten aus China und einer überzeugten Hongkong-Einwohnerin (Maggie Cheung), die gleichwohl ebenfalls vom Festland stammt, inszenierte Peter Chan kurz vor der Übergabe. Hong Kong Love Affair appelliert zwar an eine gemeinsame Herkunft, doch so ungewiss wie die Liebe der beiden bleibt bis zu einem Schluss, der sie in den USA wieder zusammenführt, wo eigentlich Heimat sei. Fern- und Heimweh verbinden sich in dem leider mit kitschiger Klaviermuzak zugekleisterten Film zu einem die Jahre von 1986 bis 1996 umfassenden Kaleidoskop aller denkbaren melancholischen Stimmungen. Folgerichtig bildet Hong Kong Love Affair den Auftakt zur sehenswerten Reihe.

Hong Kong Love Affair: Do, Sa + So, 20.30 Uhr; Metade Fumaca: 12., 14. + 15.9., 20.30 Uhr; Running Out of Time: 19., 21. + 22.9., 20.30 Uhr; The Killer: 26., 28. + 29.9., 20.30 Uhr, (Sa immer auch 22.30 Uhr), B-Movie