Mit den Augen des Aals

Seit drei Monaten untersucht die „Biologische Forschungsstation Alster“ von Mark Dion und der Galerie für Landschaftskunst Naturvorstellungen in der Stadt und schafft Raum für interdisziplinäres Arbeiten. Eine Zwischenbilanz

von CHRISTIAN T. SCHÖN

Der Aal ist tot. Eines Nachts ist er aus seinem Aquarium gesprungen und auf dem Holzfußboden der Forschungsstation gelandet. Vertrocknet liegt er jetzt in einer Petri-Schale und wird von einem Forscher betrachtet. Einer, der vielleicht auszog, die Welt jenseits des Wassers zu erforschen, ist selbst Gegenstand der Forschung geworden. Die Forschung erforscht das Forschen.

Noch bis Ende September liegt die „Biologische Forschungsstation Alster“, eine vom amerikanischen Künstler Mark Dion konzipierte und umgebaute Schute, an der Außenalster. Den Sommer hindurch haben hier hauptsächlich Kinder ihre am Ufer gesammelten Fundstücke unter die Lupe genommen und abgezeichnet.

Was ist seit Juni aus den hohen Ansprüchen – interdisziplinäre Forschung zu Naturvorstellungen in der Stadt –, die die Galerie für Landschaftskunst mit dem Projekt verbindet, geworden? „Eine Zeit lang waren wir unzufrieden mit der Situation“, gibt Till Krause von der Galerie zu. „Die Schute ist durch ihren prominenten Standort am Außenalsterufer eher zu einer Art Abenteuerspielplatz geworden, und wir die Kindergärtner, die hinterher aufräumen. Zudem ärgerte es uns, dass unter dem ständigen Organisieren die inhaltliche Arbeit litt.“ Zumindest haben die Kinder Mark Dions Einmachglas-Sammlung um einige Funde bereichert. Und endlich kommen erste künstlerische Projekte in Gang: Der Insektenbeobachtungstisch von Jochen Lempert lockt stirnrunzelnde Passanten an, Stephan Mörschs Zeichenmaschinen schwimmen um das Schiff, eine Versuchsanordnung zu Umgang und Einwirkung von Hundescheiße von Nana Petzet und eine Homer-Lesung sind in Vorbereitung.

Zuversichtlich wird Till Krause, wenn das Gespräch auf Fritz Schumacher (1869-1947) kommt, dessen Krugkoppelbrücke in Sichtweite der Schute liegt. Für den 37-Jährigen ist der Architekt ein Arbeitsschwerpunkt. Von den konkurrierenden Vorstellungen von einer „natürlichen“ Alster – renaturierte Schilfgürtel versus denkmalgeschütze Architektur – zieht Krause Parallelen zu einem Streit um die Gestaltung des künstlichen Gewässers vor etwa 120 Jahren zwischen Vertretern eines „landschaftlichen“ und eines progressiveren, „architektonischen“ Stils, zu denen auch Schumacher gehörte.

Letztere obsiegten damals. „Doch wenn sich damals die Vertreter des landschaftlichen Stils durchgesetzt hätten, ließen sich Renaturierungsmaßnahmen heute leichter verwirklichen, ohne dass man dem Denkmalschutz in die Quere käme.“

Weiteres Anliegen des Projekts war es, den klassischen Naturwissenschaften auf der Schute ein interdisziplinäres Arbeiten zu ermöglichen. „Die Hoffnung, dass in den vier Monaten Forschungsstation die Interdisziplinarität zu etwas führen würde, was nur gemeinsam zu schaffen ist, hat sich noch nicht erfüllt.“

Doch die Chance ist keineswegs vergeben: „Wilhelm Wagenbach vom Kieler Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften wird einen Workshop auf der Schute durchführen, um zum Beispiel folgenden Fragen nachzugehen: Wie kommen die wissenschaftlichen und andere Disziplinen zu ihrem Wissen, mit welchen Mitteln arbeiten sie, wie kann man lernen und auf Neues kommen?

Wie es weitergehen wird? Ende September schließt die Schute ihre Tür, doch es zeichnet sich schon ab, dass das Projekt auf anderen Ebenen – etwa einerHomepage – aber auch konkret in Kunstwerken im nächsten Jahr sichtbar bleiben wird. Vielleicht sogar die Schute selbst.

Mi + Fr 15–19 Uhr, Sa + So 12–15 Uhr, Ecke Harvestehuder Weg/Sophienterassen; bis 30. September, www.schute-hamburg.de