Das lächelnde Gesicht des grünen Erfolgs

Nach den jüngsten gestiegenen Umfragewerten gewinnen die Berliner Grünen bei der Bundestagswahl wider Erwarten einen dritten Sitz für die Berliner Landesliste. Davon profitiert – im Schatten der Parteigrößen – die Haushaltsexpertin und Exstadträtin Franziska Eichstädt-Bohlig

Die Zuversicht scheint überzubrodeln. Die Frau vorne am Mikro muss schier bremsen, der Wahlkampf sei noch nicht gewonnen. Hunderte sind zum Start in die heiße Phase in die Kulturbrauerei gekommen. „Die Renate“ nennen sie die Frau ganz vorne. Auf dem Wahlzettel für den 22. September steht auch noch „Künast, Bundesministerin“. Sie ist die Spitzenkandidatin der Berliner Grünen, die nach den jüngsten Umfragen auf Wolke 7 schweben. Konkrete Auswirkungen hat das Hoch aber vor allem für eine andere Frau, die in der Menge steht und klatscht: Franziska Eichstädt-Bohlig, die wider Erwarten im Bundestag bleiben kann.

Auf dem Papier sind es nur abstrakte Zahlen. 7 Prozent bundesweit, 13 in Berlin: 2 beziehungsweise 3 Prozentpunkte mehr als zu Jahresbeginn, als Parteigrößen von einer Schicksalswahl sprachen und die Fünfprozenthürde fürchteten. Das konkrete Gesicht des jüngsten Umfrageerfolges ist fast 61 Jahre alt und doch auffallend jung, hat kurze kastanienrote Haare, eine streng wirkende Brille und lächelt oft. Seit 1994 ist Eichstädt-Bohlig im Bundestag, und die aktuellen Umfragewerte reichen aus, dass sie sich über Platz 3 der grünen Landesliste im Parlament halten kann.

Das sah zu Jahresbeginn anders aus. Da schien die Bundestagskarriere vor dem Ende, die sie vor acht Jahren als Spitzenkandidatin der Berliner Grünen begonnen hatte. Unter ferner liefen wurde beim Parteitag registriert, dass Eichstädt-Bohlig sich Platz drei auf der Landesliste sichern konnte. Zu groß war die Überraschung über Werner Schulz, der sich als Ossi gegen die Linken-Ikone Christian Ströbele und Exministerin Andrea Fischer durchsetzen konnte. Nur noch Schulz’ Listenplatz 2 galt hinter Künast als sicher – wer scherte sich deshalb darum, wer auf Nummer 3 landete?

Dabei war schon interessant, dass die Partei die pragmatische Haushaltspolitikerin und Stadtplanerin Eichstädt-Bohlig mit 295 zu 202 Stimmen klar der wesentlich bekannteren Fischer vorzog. Die Partei habe es Fischer übel genommen, dass sie Eichstädt-Bohlig verdrängen wollte – sie habe ihre Chance gehabt, war mehrfach zu hören.

Fischer, Ströbele, Künast und seit einem Jahr auch Schulz, der 1998 noch in Leipzig kandidierte: Immer enger drängte sich das Bundespersonal der Berliner Grünen. In den Schlagzeilen blieb wenig Platz für Eichstädt-Bohlig. Dabei wurde sie, die Stadtplanerin und Architektin, vor vier Jahren als mögliche Verkehrsministerin gehandelt.

In diesem Frühjahr sträubte sie sich wie zwei Fraktionskollegen im Haushaltsausschuss gegen die Militär-Airbus-Pläne des damaligen Verteidigungsministers Rudolf Scharping. Doch im Scheinwerferlicht stand vor allem Oswald Metzger, der haushaltspolitische Sprecher. Diesen prestigeträchtigen Job könnte Eichstädt-Bohlig übernehmen, nachdem die baden-württembergischen Grünen Metzger aus dem Bundestag mobbten.

Auch im Wahlkampf geht sie schier unter. Das Interesse konzentriert sich auf Christian Ströbele in Friedrichshain-Kreuzberg und sein Bemühen um das erste grüne Direktmandat. Immer besser sei dort das Feedback, versichert Landesgeschäftsführerin Kirsten Böttner. Doch nach den Zahlen von 1998 müsste Ströbele gegenüber der damals erfolgreichen SPD fast 20 Prozentpunkte aufholen, um im Bundestag zu bleiben.

Eichstädt-Bohlig, chancenlos als Direktkandidatin in Charlottenburg-Wilmersdorf, will nie daran gezweifelt haben, dass es für sie auch mit Listenplatz 3 reichen könnte. Von einem „Mythos“ von nur zwei Plätzen spricht sie am Rande einer Veranstaltung in ihrem Wahlkreis. In das Kaminzimmer des Literaturhauses in der noblen Fasanenstraße hat sie an diesem Abend geladen. Es ist eine andere Klientel als elf Tage zuvor bei der Vor-Wahlparty in der Kulturbrauerei, wo die Dortmunder Band „Pepper de luxe“ viele Jüngere abtanzen ließ. Über 50 ist fast jeder Zweite im Raum, bürgerlich gediegen mit dunkler Holztäfelung das Ambiente.

Unionspolitiker Peter Kurth sitzt an diesem Abend neben der Grünen-Abgeordneten. Ein Ausrufezeichen hatte der Tagesspiegel bei einer Ankündigung hinter das Parteikürzel „CDU“ gesetzt. Eichstädt-Bohlig mag nichts Außergewöhnliches daran sehen – gemeinsame Veranstaltungen mit dem liberalen CDU-Abgeordneten und Exfinanzsenator habe es schon mehrfach gegeben. Nächste Woche ist sie an gleicher Stelle mit CDU-Frau Rita Süssmuth zum Thema Zuwanderung zu erleben.

Auch wenn sie es als normal handhabt: Üblich sind solche Abende mit CDU-Politkern im Grünen-Wahlkampf nicht. Werner Schulz etwa lädt in seinen Salon vorwiegend Parteifreunde oder SPD-Mann Wolfgang Thierse, Wolfgang Wieland plauscht mit Bundes-Promi Kerstin Müller und dem linken Politprofessor Peter Grottian.

Kurth und Eichstädt-Bohlig haben beide schon offen Sympathien für Schwarz-Grün geäußert, halten die Option auf Landesebene aber nicht für realistisch. „Da müssten die Berliner Grünen ein Stück weit realpolitischer werden“, sagt Eichstädt-Bohlig, die erst seit 1993 Grünen-Mitglied ist. Kreuzberger Baustadträtin für die Alternative Liste war sie 1989/90 als Parteilose.

Nächste Woche kommt Spitzenkandidatin Renate Künast in ihren Wahlkreis nach Charlottenburg. Von grünen Erfolgen und Plänen wird sie wie in der Kulturbrauerei sprechen und vielleicht von dem notwendigen langen Atem. Wenn sie rechtzeitig aus der Haushaltsdebatte des Bundestags rauskommt, wird Eichstädt-Bohlig wieder dabeistehen und klatschen. Der Ministerin, ihrer Rede – und wohl ein bisschen auch sich selbst.

STEFAN ALBERTI