: Die ungeliebte Räumung
Hundertschaft der Polizei räumt Teil der Rigaer Straße 94. Spaß hat niemand bei der Sache. Bewohner, Bezirksamt und Senatsvertreter sind wenig begeistert. Auch Eigentümer ist unzufrieden
von TILL BELOW
Es war fast wie in alten Zeiten. Die Bewohner des Hausprojekts Rigaer Straße 94 verbarrikadieren sich, die Polizei sperrt mit einer Hundertschaft den halben Kiez und nimmt später insgesamt 20 Personen fest, Bezirks- und Senatsvertreter stehen skeptisch daneben, und hunderte von Unterstützern des Hausprojekts machen den Bezirk unsicher.
Der Bewohnerverein hatte zwar für das 1990 besetzte Haus bereits 1991 einen Rahmenmietvertrag abgeschlossen, den hatte der heutige Eigentümer Suitbert Beulker jedoch nicht anerkannt. Ende 2001 bestätigte auch eine Feststellungsklage der Mieter nicht die Gültigkeit dieses Vertrags. Beulker erreichte hingegen mehrere Räumungstitel. Der erste gegen die „Kadterschmiede“, das Vereinslokal im Erdgeschoss, wurde gestern vom Gerichtsvollzieher wie angekündigt termingerecht vollstreckt. Verhandlungen mit Bezirk und Senat über ein Ersatzobjekt warne zuvor gescheitert.
Die Bewohner der Rigaer Straße 94 hatten für gestern Morgen Widerstand angekündigt. Zufahrtsstraßen sollten frühzeitig blockiert werden. Doch die Polizei war scheller. Schon im Laufe der Nacht ist sie präsent und sperrt ab 4.30Uhr den Abschnitt der Rigaer Straße. Als sie eine Stunde später das Areal mit Wannen zuparkt und die Tür zum Nachbarhaus aufbricht, gibt es auch für die etwa 20 Journalisten und einen Anwalt der Bewohner kein Durchkommen mehr. Das Blitzlicht der Fotografen behindere die Arbeit, so ein Polizist. Zwei Kollegen von der Boulevardpresse werden sentimental. „Das Beste war immer noch die Mainzer“, schwelgt einer. „Wenigstens ist etwas SEK da.“
Während zwei Beamte auf dem Nachbarhausdach Stellung beziehen, erscheint gegen 6 Uhr der Gerichtsvollzieher. Im Haus reagiert niemand auf die Aufforderungen, ihm Zutritt zu geben. Polizisten brechen daraufhin das Haus mit Trennschleifern und Vorschlaghammern auf. Die Bewohner hatten die Eingänge zum Erdgeschoss mit doppelten Stahltüren gesichert. „Nicht schlecht“, wie ein Polizeisprecher später respektvoll meinte. Rund 20 Minuten brauchten die Beamten, um ins Haus zu gelangen.
In der Umgebung kommt es währenddessen zu einzelnen Auseinandersetzungen. Barrikaden werden gebaut, Steine fliegen, auch Autos sollen gebrannt haben. Mehrere Spontandemonstrationen im Laufe des Tages wurden sofort wieder von der Polizei aufgelöst.
Um 6.45 Uhr werden der Anwalt und die Presse vors Haus gelassen. Dort stehen mit bitterer Miene die Bezirksbürgermeisterin Cornelia Reinauer (PDS) und Vertreter der Senatsverwaltung. Man zeigt sich enttäuscht darüber, dass es im Vorfeld zu keiner Verhandlungslösung gekommen ist. Noch am Montag hatte sich Reinauer mit den Bewohnern getroffen. Zu deren Ankündigung, nun das Bezirksrathaus zu besetzen, meint die Bürgermeisterin: „Kaffee trinken wir gerne mit denen.“ Ein Stück weit könne sie die Bewohner ja verstehen.
Auch Ralf Hirsch von der Bauverwaltung bezeichnet die Rigaer als „vernünftige Leute“. Der ehemalige Hausbesetzer und jetzige PDS-Abgeordnete Freke Over betont, dass dieser Einsatz nicht zu vergleichen sei mit den politisch gewollten Räumungen unter den CDU-Innensenatoren Schönbohm und Werthebach. „Hier leistet die Polizei Amtshilfe für den Gerichtsvollzieher, der ein Urteil umsetzt.“ Auch die PDS könne nicht die Verfassung außer Kraft setzen und die Rolle des Eigentums ankratzen.
Unzufrieden ist offenbar auch der Hauseigentümer. „Herr Beulker hätte es gerne, dass wir da rund um die Uhr Polizei vor die Tür stellen“, erklärt ein Polizeisprecher. „Für die Sicherung muss der Eigentümer aber einen Sicherheitsdienst anstellen. Das ist nicht unsere Aufgabe.“
Viele der Demonstranten treffen sich später in der Kreutzigerstraße. Die Stimmung ist gemischt. Selten habe man so alt ausgesehen, meinen einige. Zu wenige und eher ratlose Leute hätten sich vor dem Haus versammelt. Wenigstens diejenigen, die in der „Kadterschmiede“ ihr Bier trinken gehen, hätte man erwarten können.
Ein Sprecher des Hausprojekts zieht eine andere Bilanz. Er geht von 400 Demonstranten aus. „Gut, dass so viele Leute da waren“, meint er, blöd nur, dass viele zu spät aufgestanden seien. „Wir sehen uns als Teil des Widerstands gegen immer schlechtere Mietverhältnisse und die Bevorzugung des Eigentumsrechts vor dem Recht der Mieter.“ Für Freitag, 13 Uhr rufen die „Rigaer“ zu neuen Protesten vor dem Bezirksamt auf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen