„Eine Metapher für die globale US-Präsenz“

Die B-52 wurde vor fünfzig Jahren für den Kalten Krieg konstruiert, war Vorbild für zivile Großflugzeuge und wurde in Vietnam und Afghanistan als Flächenbomber eingesetzt. Ein Gespräch mit Hartmut Bitomsky und Harun Farocki über Bitomskys Dokumentarfilm „B-52“ und intelligente Waffen

Interview STEFAN REINECKE
und DANIEL HAUFLER

taz: Militär ist für Dokumentarfilmer ein schwieriger Stoff, weil viel der Geheimhaltung unterliegt. Hartmut Bitomsky, konnten Sie filmen, was Sie zeigen wollten?

Hartmut Bitomsky: In dem Flugzeug waren oft technische Apparate mit Vorhängen abgedeckt. Manchmal haben Offizielle durch die Kamera geschaut und kontrolliert, ob nichts Geheimes im Bild ist. Doch eigentlich war es wie ein Dreh in einer großen Firma: Jemand führt einen herum, und man weiß nie, ob man alles zu sehen bekommt. Das war bei „VW-Komplex“ nicht anders als bei „B-52“.

Die lange Eingangssequenz zeigt eine B-52 von allen Seiten. Das Flugzeug wird wie ein Star inszeniert. Waren Sie fasziniert von der B-52?

Bitomsky: Ich brauche ein starkes Interesse für den Gegenstand, sonst kann ich keinen Film darüber machen. Die Szene ist so ausführlich, weil ich eine Maßstäblichkeit herstellen muss, eine Vorstellung von der Physis des Gegenstands. Auf der Leinwand ist eine Kaffeetasse in einer Großaufnahme genauso groß wie eine B-52.

Harun Farocki: Heute ist besonders unklar, wozu das Militär da ist. Unklar ist auch, wie Produktion und Destruktion zusammenhängen. In dem Film tritt ein Künstler auf, der sagt: Wir sollten Kunst und Krieg nicht trennen, sondern verbinden. Wir sollten die billige Scheidung von Kultur und Krieg überwinden. War das auch die Idee für den Film?

Bitomsky: Ja, sicher. Deshalb sieht man am Ende des Films den Flughafen von Los Angeles. Das soll darauf hinweisen, dass militärische und zivile Produktion verwoben sind. Der wahre Schauplatz des Kalten Krieges, sagt der Film, waren möglicherweise die Produktionsstätten. Die B-52 war das erste Großraumflugzeug mit Düsentriebwerken, also der Prototyp für die moderne zivile Luftfahrt. Das ist der berühmte Spin-off-Effekt militärischer Produktion.

Farocki: Man sieht in dem Film, wie Leute das Flugzeug warten, reparieren, abschmieren. Sie hetzen hin und her für etwas, das – erfreulicherweise – im Film nicht geschieht: der Einsatz. Ästhetisch ergibt sich daraus ein Film, der aus Expositionen besteht. Das dahinter liegende Problem: Der Kalte Krieg, den die B-52 symbolisiert, entspricht nicht unseren Vorstellungen von Ereignis und Dramaturgie. Der Kalte Krieg war ein Nichtereignis: Deshalb kann man sich auch so schwer daran erinnern.

Bitomsky: Richtig ist, dass ich die B-52 nicht in Action, nicht im Kriegseinsatz drehen konnte. Richtig ist aber auch, dass die Abschreckung fünfzig Jahre lang die Rüstungsproduktion bestimmt hat. Da haben sich die Aktivitäten fieberhaft entfaltet, während in der militärischen Sphäre sich ein zermürbender Stillstand, ein gegenseitiges In-Schach-Halten verfestigte: das Nichtereignis, von dem du sprichst. Der Krieg sollte kalt bleiben. Hinzu kommt, dass die B-52, von ihrer militärischen Bestimmung her, eine moderne Distanzwaffe ist. Der Standort soll möglichst weit vom Einsatzort entfernt sein. Man soll das Ereignis nicht erfahren. Deshalb kann sich der Film nur von den Rändern her dem Focus des Geschehens nähern. Er will nicht jene Illusion des Cinéma Vérité erzeugen, das die Ereignisse unmittelbar zu erleben und wiederzugeben glaubt. Da wir auf 35 Millimeter gedreht haben, also immer eine gewichtige Apparatur in Anschlag gebracht haben, wird der statuarische Eindruck noch unterstrichen.

Farocki: Die Kernszene des Films ist das meditative Begehen des Flugzeuges. Das genaue Anschauen in „B-52“ ist der Versuch, von den Ideen abzusehen und sich an die Materie zu halten. Dafür ist die 35-Millimeter-Kamera gut geeignet.

Der Film zeigt detailliert, wie viel Handwerk, wie viel zivile Fähigkeiten die Pflege des Flugzeugs erfordert. Er versucht, die Arbeit, die in dem Flugzeug steckt, gegen ihre Verwendung zu verteidigen. Ist das die Moral des Films?

Bitomsky: Ich wollte zumindest zeigen, dass alle, die mit diesem komplizierten technischen Objekt zu tun haben, stolz sind, weil sie es „beherrschen“. Das gilt für Piloten ebenso wie für die Leute, die die Maschine reparieren. Es gibt bei diesen Leuten eine Art proletarischen Stolz auf ihre Arbeit, den man bei Fließbandarbeitern nicht findet. Ich wollte diese Haltung festhalten, denn die wird in einer künftigen postindustriellen Epoche vielleicht verloren gehen.

Farocki: Was verschwindet mit der B-52? Eigentlich war sie mit dem Kalten Krieg, für den sie vor 50 Jahren konstruiert worden war, untergegangen. Aber sie wurde auch danach, vom Irak bis nach Afghanistan, eingesetzt. Es ist so wie mit dem Nationalstaat, den viele schon abgeschrieben hatten und der trotzdem wieder gebraucht wird.

Bitomsky: Die B-52 stammt technologisch aus dem Zweiten Weltkrieg. Sie wurde mit Hilfe deutscher Ingenieure, die von Messerschmidt und Heinkel kamen, entwickelt. Die Boeing-Ingenieure nannten sie die „german boys in the backroom of the Pentagon“. Von den Deutschen stammten entscheidende technische Ideen: Die Verwendung von großen Düsentriebwerken und die Pfeilflügel waren deutsche Kriegstechnologie. Und auch die militärische Idee: dass der Krieg woanders, nicht daheim stattfinden muss. Dafür war schon Deutschland im Zweiten Weltkrieg ein Beispiel: Man wollte den Krieg blitzschnell in andere Länder tragen, bevor er sich auf dem eigenen Boden abspielen konnte. Die deutsche Kriegsführung hatte deshalb den Charakter von Überfällen. Aber zurück zur Frage: Technisch ist die B-52 ein letzter Ausdruck des industriellen Zeitalters.

Farocki: Des mechanischen Zeitalters?

Bitomsky: Ja, das basiert alles noch auf der Newton’schen Physik. Hebelwirkung, Hydraulik, Seilzüge usw. Die Elektronik wurde später eingebaut und mühsam angepasst.

Farocki: Das sieht man an dem Design, dass sie nicht zu dem Alten passt.

Die B-52 ist eine Brücke zu moderner Kriegstechnik, zu den „intelligenten Waffen“, denen sie als Träger dient?

Bitomsky: Ja, und mehr. Sie ist insgesamt, nicht nur technologisch, ein Scharnier zwischen den Zeitaltern. Sie hat früh Züge der Globalisierung vorweggenommen. So wie es ein US-Militär in dem Film sagt: Mit der B-52 können wir jeden Punkt der Welt erreichen, ohne Basen in anderen Ländern errichten zu müssen. Die B-52 ist eine Metapher für die globale Präsenz der USA. Sie vereinbart die beiden gegensätzlichen, aber doch ineinander verschränkten Grundbestrebungen der amerikanischen Weltpolitik, Hegemonie einerseits, Isolationismus andererseits.

In Afghanistan sind erstmals unbemannte, bewaffnete Drohnen eingesetzt worden. Sie wurden von Florida aus gesteuert. Diese Drohnen haben stundenlang eine Gruppe von mutmaßlichen Al-Qaida-Kämpfern verfolgt und schließlich mit Raketen getötet. Die Distanz zwischen dem Entscheidungs- und Einsatzort ist viel größer als bei der B-52, die zehn Kilometer über Hanoi ihre Bombenschächte öffnet. Sind diese Drohnen etwas Neues? Oder eine Variante der B-52?

Bitomsky: Sie sind insofern eine Fortentwicklung, als alle modernen Kriegstechnologien Distanzwaffen sind.

Farocki: Es gibt Firmen, die auf zwei Kontinenten arbeiten: Hier wird das Design entworfen, dort wird produziert, die Kommunikation läuft über das Internet. Das ist das zivile Äquivalent zu dem Florida-Afghanistan-Beispiel. Doch bei den „smart weapons“ verhält es sich anders als in der zivilen Produktion. Im Zivilen können ideale Bedingungen für optimales Funktionieren geschaffen werden – gleichmäßiges und gleich bleibendes Licht in der Werkhalle. Bei den intelligenten Kamerawaffen gibt es hingegen viel Unvorhersehbares: Wolken, die verhindern, dass brauchbare Bilder in Florida zu sehen sind, oder Menschen mit Bärten, die nicht zu identifizieren sind. Da gibt es zwei Möglichkeiten: Man muss die Welt gleichmäßig ausleuchten wie eine Werkhalle – oder man muss die Waffenkameras verbessern. Beides passiert, wie man weiß. Aber eigentlich ist es zu früh, über intelligente Waffen zu reden. Was nutzen den USA intelligente Waffen in Afghanistan, wenn sie noch nicht einmal die Sprache ihrer Feinde verstehen?

Ein vietnamesischer MiG-Pilot erzählt in dem Film, wie er eine B-52 abschoss. Wenn der Feind – wie in dem Drohnen-Beispiel – den Kriegsschauplatz nicht mehr betritt, wird das unmöglich sein.

Farocki: Ja, aber das ist einstweilen eine Idee, nicht die Realität des Krieges. Wie mir bei meinen Recherchen Rüstungsforscher erzählten, ist in Afghanistan ein US-„Stealth“-Bomber abgeschossen worden – und zwar mit einer US-amerikanischen Stinger-Rakete, die die USA zuvor den Mudschaheddin geliefert hatten.

Das folgt durchaus einer Logik. Wenn man manche Leute in der Rüstungsindustrie fragt, ob es nicht fahrlässig ist, Hightech-Guerillawaffen zu verschenken, hört man die Antwort: „Wieso? Das ist doch die einzige Möglichkeit, unsere Produkte zu testen und zu verbessern.“ Man hat ja auch an die Indianer Gewehre geliefert. Wenn man den Gegner nicht mehr oder weniger kontrolliert, mit Waffen versorgt, entfällt der Grund, die nächste Generation eigener Waffen zu produzieren.

In Jugoslawien konnten die USA wegen ihrer militärischtechnischen Überlegenheit einen Krieg fast ohne eigene Opfer führen. Ist also ein Szenario wie der Vietnamkrieg – dass ein unterlegener Gegner die USA bezwingt – schon technologisch unmöglich geworden?

Farocki: Vietnam hat nicht militärisch gesiegt. 1,5 Millionen Vietnamesen sind im Krieg gestorben. Vietnam hat, unter enormen Verlusten, einen Abnutzungskrieg gegen die USA geführt und ihnen Verluste zugefügt. Das konnten sie tun, weil sie ein starkes, altmodisches Motiv hatten: den Nationalstaat. Dieses Ziel haben sie zäh über dreißig Jahre verfolgt. Die heutigen Antagonisten müssen zufrieden sein, wenn sie wenigstens ein Versteck finden.

Bitomsky: Die Kriegsführung war in Vietnam längst nicht so distanziert wie etwa im Kosovo. Es war kein Zufall, dass die B-52 in Vietnam zum Tiefflieger umgerüstet wurde. Man suchte maximalen Kontakt zum Gegner. Deshalb sind ja viele US-Amerikaner getötet worden. Seitdem gilt in den USA die Doktrin: Keine Leichensäcke mit unseren Jungs, denn das schwächt die Heimatfront – und dort haben die USA ja den Vietnamkrieg verloren. Im Vietnamkrieg gab es noch den body count, der eigene militärische Erfolg wurde daran gemessen, wie viele Tote man produziert hatte. Das ist in Vietnam gelungen. Beim Dreh dort ist mir aufgefallen, dass es dort wenig alte Männer gibt. Die USA haben eine ganze männliche Altersschicht ausgelöscht. Bei heutigen Kriegen gibt es keinen body count mehr, die Leichen werden nicht gezählt. Im Gegenteil, sie werden verschwiegen, weil die Zahl nicht mehr ausdrückt, worum es in einem Krieg heute geht: den Gegner kontrollieren, nicht auslöschen.

Farocki: Die Kriege seit 1990 werden, mit Foucault gesprochen, heilig gemacht. Sie sollen nicht mehr utilitaristisch sein, sie sollen uns nicht nutzen. Man kann sagen: Die klassischen Zuchtanstalten verschwinden, dazu gehört auch die B-52. Die Einübung in das Funktionieren des globalen Kapitalismus muss subtiler vonstatten gehen.

Bitomsky: Früher ging es darum, im Krieg Menschen zu töten, um sie von ihrem Besitz zu trennen. Das ist als Motiv obskur geworden. In Afghanistan soll die berühmte Pipeline der wahre Grund für den US-Krieg dort sein. Auch das ist obskur. Welche Funktion haben dann Kriege, die der Westen führt?

Farocki: Ich glaube, der Krieg hat noch diese altmodische, an die Ökonomie gebundene Funktion. Das ist nicht so zu verstehen, dass Länder gezielt aus wirtschaftlichen Zwecken zerstört werden, aber es ist ein Effekt. Das Zerstören tradierter Gesellschaften, etwa die Auslöschung einer Altersgruppe in Vietnam, schafft Bedingungen, um diese Länder an die Weltwirtschaft anzuschließen. Der Krieg als Feuersbrunst, die das Unterholz zerstört. Klingt wie Ernst Jünger.

Krieg als Modernisierung?

Farocki: Ja, in dem Sinne, wie früher den Leute verboten wurde, im Wald Holz zu sammeln, damit sie eine Lohnarbeit annehmen mussten.

In „B-52“ heißt es, dass ein Krieg ohne Menschen vorstellbar wird. Die gleiche Idee findet sich in Farockis „Auge/Maschine“. Dort heißt es, dass die Automatisierung nach dem Arbeiterheer auch das Heer verschwinden lasse.

Farocki: Das ist ein Bild. Ein Schlachtfeld ohne Menschen ist eine Fiktion – so wie die saubere Kriegsführung, wie wir wissen, eine Fiktion ist. Der Krieg im Rechner erübrigt aber teilweise einen wirklichen Krieg. Um Spin-off-Effekte zu produzieren, muss man heute nicht zwingend eine B-52 bauen. Es genügt, zwanzig B-52 zu entwerfen.