Das war der Gipfel, der war

Kalte Pommes und betäubte Delegierte – Eindrücke aus zehn Tagen Johannesburg

JOHANNESBURG taz ■ Der Kollegin aus dem Iran war nicht zu helfen. Die Journalistin wuchtete ihren Laptop auf den Tisch im Pressezentrum und wandte sich Hilfe suchend an die Kollegen um sie herum. Einen Stromadapter konnte man ihr noch leihen. Die Einstellungen an ihrem Laptop, den sie anscheinend noch nie geöffnet hatte, fummelte ein Techniker zurecht. Aber an der Übertragung ihrer Texte per Mail scheiterte sie. Für Erklärungen reichte die Zeichensprache nicht mehr aus, die Kollegin sprach kein Englisch. Anderntags saß sie im Pressezentrum und schrieb mit der Hand.

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Wer sich das Korrespondentenleben als lustiges Spesenrittertum vorstellt, irrt. Den ganzen Tag berichtet der Journalist aus dem kalten und zugigen Pressezentrum über Fortschritte und Hemmnisse für die nachhaltige Entwicklung. Dafür fliegt er um die halbe Welt, fährt mit dem Auto zu Terminen, hält sich mit Kaffee und Coca-Cola wach, schmeißt seine Plastikbecher weg, isst im Laufe des Tages kaum etwas, hat keinen Kontakt zu normalen Menschen und landet abends mit kalten Pommes und einem pappigen Hamburger im Hotelzimmer vor der Glotze. Nur um am nächsten Tag in einem Kommentar radikales Umdenken bei Politikern und Verbrauchern zu fordern.

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Gerhard Schröder hatte ein Problem. Auf der Rednerliste hatte das Los dem deutschen Kanzler Rang 42 zugeteilt. Das aber passte dem eiligen Gerd nicht – wenig Zeit im Wahlkampf und dann die ganzen langweiligen Reden seiner Kollegen beim Gipfel anhören? Eine Lösung musste her. Seine Beamten durchforsteten die Liste der Redner und fanden–- Mazedonien. Auf Platz 7. Präsident Boris Trajkovski braucht Rückendeckung für seine Politik, Schröder brauchte seinen Platz am Rednerpult. Also wurde getauscht. Schröder bekam seinen frühen Termin – und Trajkovski am Nachmittag einen schnellen Termin mit Schröder.

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Die Vertreter der kanadischen Ureinwohner sind angereist, um darauf aufmerksam zu machen, dass ihr Lebensstil durch Umweltverschmutzung und Industrialisierung bedroht ist. Doch abends im Restaurant mussten die „Eskimos“ aus Kanadas Norden Aufklärung leisten. „Ich weiß, dass ihr nicht mehr in Iglus lebt“, sagte die schwarze Kellnerin, „aber wie lebt ihr dann?“ – „Genau wie Sie“, sagte der Chief. „Sie zähmen ja auch nicht jeden Tag einen Löwen.“

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Überall liegen in Johannesburg Kondome rum: Im Restaurant, auf der Toilette, im Bed & Breakfast. Was als Maßnahme gegen Aids gedacht ist, versetzt viele Delegierte in Brunftstimmung – die wiederum alle Vorsichtsregeln ausblendet. Und so musste Justizminister Penuell Maduna auf der offiziellen Pressekonferenz zu Sicherheitsfragen nicht nur zu den Routen der Gegendemonstranten Stellung nehmen, sondern auch vor Sexfallen warnen. Delegierte waren bei Prostituierten betäubt und ausgeraubt worden. Die Veranstalter kennen das Problem. Bei der UN-Konferenz gegen Rassismus in Durban vor einem Jahr fand man einen Delegierten, der sich von vier Frauen hatte bedienen lassen, mit einer Überdosis K.o.-Tropfen tot unter dem Bett.BERNHARD PÖTTER/
MARTINA SCHWIKOWSKI

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