Frauen siegen in letzter Minute

Der letzte strittige Punkt auf dem Weltgipfel, die Gleichsetzung von Frauen- und Menschenrechten, findet überraschend die Zustimmung der Regierungen

aus JohannesburgMARTINA SCHWIKOWSKI

Kaum jemand in den Frauenorganisationen hatte noch daran geglaubt – an den erfolgreichen Ausgang ihrer Lobbyarbeit auf dem Weltgipfel in Johannesburg. Die meisten hatten sich am späten Dienstagabend schon auf eine Niederlage eingestellt. Doch in der Nacht zu gestern führte das zähe Ringen um den entscheidenden Satz im Schlussdokument zum Erfolg: Frauenrechte werden nun mit Menschenrechten gleichgesetzt.

Die Neuformulierung des heiß umstrittenen Textparagrafen 47 in der Passage zum Gesundheitswesen lässt nicht mehr die Hintertür offen, dass die Verletzung von Menschenrechten „aus kulturellen und religiösen Gründen“ gerechtfertigt wäre. Frauen dürfen also in Zukunft nicht mehr durch Praktiken wie Genitalverstümmelung, Steinigung und Vergewaltigungen zur Strafe für sexuelle Beziehungen oder Kinderehen unterdrückt werden. So lautet sinngemäß die jetzt abgeschlossene Vereinbarung der Regierungen.

Im Text stand bereits zu Beginn des Gipfels der Satz, dass der Zugang zum Gesundheitssystem für Frauen verbessert und Gesundheitsrisiken durch Umweltbelastungen vermindert werden müssen – aber in Übereinstimmung mit nationalen Gesetzen und „kulturellen und religiösen Werten“. Neu ist die Erweiterung um den Zusatz „… und im Einklang mit allen Menschenrechten und dem Recht auf Selbstbestimmung“. Damit wollen Frauen nicht nur dem Missbrauch des Begriffs „kulturelle Praktiken“ entgegenwirken, sondern auch ihr Recht auf Verhütung und Abtreibung gesichert wissen.

Der globale Sieg für Frauen ist praktisch in letzter Minute errungen worden – auf dem Papier. Doch bereits jetzt zerbrechen sich Institutionen und Frauengruppen den Kopf, wie ihre Arbeit im Alltag weitergeht. „Wir haben die Zustimmung zu unseren Forderungen nicht mehr erwartet, aber die festgelegten Worte müssen nun Schritt für Schritt in die Praxis umgesetzt werden“, umschreibt Irene Dankelman, Sprecherin der Verhandlungsgruppe der Nichtregierungsorganisationen auf dem Weltgipfel, die nächsten Ziele.

„Frauen sind klar denkende menschliche Wesen – ihre Entscheidung soll ihnen nicht aufgezwungen werden“, fordert Jessica Nkuuhe, Aktivistin aus Uganda. „Aber Männer in aller Welt wollen Einfluss auf die Geburtenkontrolle ausüben.“

Die Fronten traten klar während der Verhandlungen zu Tage. Die konservativen Stimmen, die sich gegen die geforderten Vereinbarungen stellten, kamen aus den USA, dem Vatikan und zahlreichen arabischen sowie einigen afrikanischen Staaten. Aber auch Irland und einige südeuropäische Länder, wo der Katholizismus stark verbreitet ist, hatten zu blockieren versucht, bestätigt Irene Dankelman gegenüber der taz. Kanada legte sich jedoch vom ersten Tag an kräftig ins Zeug, diese Blöcke aufzulösen, stark unterstützt von den meisten Staaten der Europäischen Union.

In den nächtlichen Verhandlungen hinter verschlossenen Türen gab es Druck auf die Verhinderer auch von einflussreichen Vertretern aus Frauenorganisationen. Auch das Gastgeberland Südafrika hat eine wichtige Rolle gespielt, um die Menschenrechte für Frauen als Priorität zu verabschieden. Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul meinte nach errungenem Sieg, es habe doch noch eine substanzielle Debatte mit den G-77-Ländern gegeben, die zu einem „Differenzierungsprozess“ geführt habe.

Dennoch handelt es sich bei der Einigung um einen Kompromiss. Denn die Verhandlungsgruppe der Frauen hätte lieber den bereits zu Beginn der Konferenz vorgelegten Satz über die nationalen Rechte, kulturellen und religiösen Werte ganz aus dem Dokument gestrichen. Aber: „Besser als nichts“, meint Dankelman.

Jetzt endlich stimmen auch die Vereinbarungen, die zu diesem Thema auf anderen Gipfeln der UN getroffen wurden, mit dem Ergebnis der Johannesburger Verhandlungen überein. Denn bereits auf dem Frauengipfel in Peking, in der Wien-Deklaration sowie auf dem Weltkindergipfel der UN war erreicht worden, dass Frauenrechte und Menschenrechte gleich zu bewerten sind. In Johannesburg war die Debatte jedoch bis zum Schluss rückwärts gegangen, indem diese Vereinbarung wieder in Frage gestellt worden war. Letztlich erfolglos.