Großer Umzug der Bücher

Bremen ist dabei, das alte Konzept der „Stadtbibliothek in den Schulzentren des Stadtteils“ aufzugeben. Bisher gibt es kein neues Konzept, das alle zufrieden stellt

Wieviel Geld ist der Stadt ihr Bücherangebot wert? Darf sich eine kommunale Bibliothek aus den Stadtteilen zurückziehen?

Bremens Stadtbibliothek wird umgebaut, aber was am Ende dabei herauskommt, das scheint gar nicht so sicher. „1 plus 4“ war die Formel, die der Bremer Senat vor Jahren beschlossen hatte: Eine große Zentralbibliothek im ehemaligen Polizeihaus und vier kleine Satelliten in den Stadtteilen: Nord (Vegesack), Süd (Huchting), Ost (Berliner Freiheit) und West (in Gröpelingen). Die dezentralen Standorte sollten weg von den Schulzentren, das Konzept aus den 70er Jahren gilt bundesweit nicht mehr als aktuell. Nahe von Einkaufszentren sollten die Bibliotheken neu entstehen, mit „Laufkundschaft“ die Frequenz erhöhen.

„Vier kleine Zweigstellen sind zu wenig für die Versorgung der Stadt“, sagt die Leiterin der Stadtbibliothek, Barbara Lison. Und vier große Zweigstellen sind aus dem derzeitigen Etat des Kulturressorts nicht finanzierbar. So wartet die Stadtbibliotheks-Chefin auf einen neuen Beschluss „der Politik“, aber bei dem Thema sind so viele kommunale Interessen betroffen, dass vor den Bürgerschaftswahlen im kommenden Mai kaum eine Entscheidung zu erwarten ist. Bis dahin wird im Bremer Osten der Umzug aus dem Souterrain des Schulzentrums Kurt-Schumacher-Allee in das Einkaufszentrum „Berliner Freiheit“ über die Bühne gehen. Die Schule braucht die Räumlichkeiten, sagt die dortige Bibliotheksleiterin Jutta Segebrecht, und die Bibliothek hoffe auf erheblichen Zulauf, auch wenn die Quadratmeterzahlen geringer würden. „Für die Vahr ist das eine sehr gute Lösung“, freut sich Barbara Lison, „aber für den ganzen Bremer Osten ist das zu wenig“.

In der Lindenhofstraße in Gröpelingen war nach dem Abriss der Gesamtschule West für die Zweigstelle schon ein Neubau errichtet worden, der dem neuen Konzept – Nähe zu Einkaufs-Zentren – einigermaßen entspricht. Mitte des Jahres 2003 soll im Bremer Süden in Huchting die dortige Stadtteilbibliothek aus dem Schulzentrum aus- und ins Roland-Center einziehen. Letzter Akt wird die Entstehung der großen Zentralbibliothek im Polizeihaus sein. Für das Frühjahr 2004 ist der Einzug geplant, zwei Drittel der Beschäftigten der Stadtbibliothek werden dann in der Zentrale beschäftigt sein. Das alte Bremer Bibliothekskonzept der „kleinen dezentralen Einheiten“ wird tot sein.

Ob diese Planung in zwei Jahren wirklich so lupenrein umgesetzt wird, bezweifeln heute manche Kenner der Szene. Nicht nur, weil die Berater des zuständigen Kultursenators von der „Kulturmanagement Bremen“ (KMB) ausgerechnet haben, dass die Kosten deutlich höher sein dürften als die derzeitigen Haushaltssätze für die Stadtbibliothek. Dazu kommen andere Probleme. Insgesamt neun Kinder- und Jugendbibliotheken gibt es noch, angebunden an Schulzentren. Betreut werden sie von Lehrern, die von der Schulbehörde dafür freigestellt wurden und kaum noch unterrichten. Diese Aushilfs-Bibliothekare gehen der Pensionierung entgegen, neue Aushilfs-Lehrer gibt es nicht. Die entstehenden Personalkosten sind im Bibliotheks-Etat des Kultursenators nicht eingeplant. Aber immer, wenn eine der kleinen Bibliotheken geschlossen werden soll, regt sich Widerstand im Stadtteil. So war es 1996 in Horn.

Geschlossen setzten sich die Kommunalpolitiker in Horn-Lehe dafür ein. Insgesamt wurden fast 6.000 Unterschriften gesammelt – es nutzte nichts. Schließlich gründete sich auf Initiative von CDU-Politikern um die Abgeordnete Karola Jamnig-Stellmach ein Förderverein. Unter dem Namen BuchHorn wurde die Bibliothek ehrenamtlich im Schulzentrum Horn fortgeführt. Im Jahr 2001 wurden in der Bibliothek insgesamt 2.100 Ausleihen getätigt. Im Juni feierte der Verein das fünfjährige Bestehen der Bibliothek. 1997 sollte die Stadtbibliothek im Vierteil geschlossen werden - eine Initiative rettete sie und führte sie als Stattbibliothek fort. Im Jahre 2001 nannte sie sich in KinderBibliothek (KiBi) um. Heute hat sie ihren Sitz in der Horner Straße 1 (www.im-viertel.de/statt).

Auch im Brodelpott werden Bestände aus der alten Stadtbibliothek Walle von einem privaten Verein verwaltet, in Hemelingen gibt es die Buche. Die Mitarbeiter der Stadtbibliothek sehen diese private Konkurrenz nicht gern, aber die Beziehungen zwischen der staatlichen Stadtbibliothek und ihren privaten Nachfolge-Einrichtungen sind dennoch eher freundschaftlich. Zum Bestand der Stadtbibliothek haben die privaten Büchereien aber keinen direkten Zugang. Sie müssen sich wie jeder Surfer über www.stadtbibliothek-bremen.de einwählen und weite Wege in Kauf nehmen, um die bestellten Bücher abzuholen.

Etwas mehr Erfolg scheint der Widerstand gegen die Schließung der Bibliothek Sebaldsbrück zu haben, die sich im Schulzentrum Walliser Straße/Gesamtschule Ost befindet. Immerhin gibt es die Zusage der SPD-Kulturpolitikerin Carmen Emigholz, dass diese Bücherei als Dependance der Stadtbibliothek bis 2005 erhalten bleibt. Da auch die Bibliothek in Lesum vorerst nicht, wie es der Formel „1 plus 4“ entsprochen hätte, geschlossen wird, gibt es derzeit „1 plus 4 plus 2“.

Vielleicht gibt es dann im Jahre 2005 ganz neue Formeln. Nicht, dass die Idee mit den Schulzentren eine Renaissance erfahren könnte, aber mehr dezentrale Präsenz als bei dem Konzept „1 plus 4“ könnte am Ende doch dabei herauskommen. Nur größere Personalkosten dürfen mit dieser Präsenz nicht verbunden sein.

Ganz dezentral präsent, aber noch ganz im alten Stil, ist die Busbibliothek der Stadtbücherei: Der Bus kommt zu den Menschen, steht wöchentlich oder 14-tägig wie ein mobiles „Schaufenster“ der Stadtbibliothek an frequentierten Stellen, mit Vorliebe auf dem Wochenmarkt. Der Bus bringt Buch- und CD-Angebote und Videos zum Schnuppern mit. In der Busbibliothek kann man auch Titel aus den anderen Beständen der Stadtbibliothek nach entsprechender Vorbestellung abholen; über die privat betriebenen Bibliotheken geht das nicht.

„Warum soll es in Zukunft nicht eine Einbindung des ehrenamtlichen Engagements in die Angebote der Stadtbibliothek geben?“, fragt Karola Jamnig von BuchHorn. Solange in der Alternative gedacht wird die „Stadtbibliothek ist groß und teuer oder gar nicht“ dürfte die Stadtbibliothek in den meisten Stadtteilen in Zukunft aber eher gar nicht präsent sein. Klaus Wolschner