„Unsinn verhindern helfen“

Der Innenarchitekt Hans Bogatzky war an der Ausstattung vieler repräsentativer Bauten der DDR beteiligt. Im Interview erläutert er, wie er trotz Materialmangels und politischer Einflussnahme für seine gestalterischen Grundsätze kämpfte

Interview MICHAEL KASISKE

taz: Herr Bogatzky, Sie haben Innenräume für bis heute repräsentative Bauten der DDR gestaltet. Hat die Politik dabei Einfluss auf Ihre Arbeit genommen?

Hans Bogatzky: Ja, sicher, und nicht nur auf meine Arbeit. Waren während des Studiums das Bauhaus, Scharoun, Schneck und andere Moderne meine Vorbilder, so musste ich mich 1952 in Klassizismus üben, als ich in die Ostberliner Baupraxis eintrat.

Wie reagierten Sie auf diesen Schwenk zur „nationalen Tradition“?

Wir jungen Architekten standen etwas hilflos da. Ehe sich dieser Trend nach wenigen Jahren totlief, gingen wir nach Potsdam und Sanssouci und studierten Knobelsdorff, Schinkel und Stüler. Für den Wiederaufbau der Staatsoper war das ja auch nützlich.

Auch im Westdeutschland der 1950er-Jahre gab es Auseinandersetzungen zwischen Traditionalisten und Modernen.

Der Geist jener Zeit war eben noch nicht durch eine Mauer gespalten. So sah z. B. die Gestaltung des Saals für die Segelfliegerschule Schönhagen, bei der ich 1953 mitwirkte, dem Ausbau des Kleistsaals in der Westberliner Urania sehr ähnlich.

War dieser Saal Ihr Einstieg als Architekt für große Räume?

In gewisser Weise schon, aber danach war doch die Mitarbeit an einer ganzen Reihe von Sälen nötig, ehe ich Ende der 1950er-Jahre mit selbstständigen Entwürfen für den Ostflügel der Humboldt-Uni, mit dem Audimax und dem Wiederaufbau des Alten Museums das richtige Gefühl für die Gestaltung großer und hoher Räume entwickelte.

Diese Räume befanden sich in alten Hüllen. Welche Unterschiede sehen Sie zu den großen Räumen im neu errichteten Staatsratsgebäude?

Diese Räume waren in ihren Geschosshöhen bestimmt durch die Proportionen des in die Fassade eingefügten Schlossportals. Einige Räume hätten auch kleiner sein können, doch für uns Mitglieder eines sehr jungen Architekturkollektivs war dieses Haus der Versuch, einem neuen sozialistischen Staat würdigen Ausdruck zu verleihen.

Sie sind seinerzeit nicht zur Eröffnung gegangen. Was war der Grund dafür?

Die Planung des Staatsratsgebäudes war ein schwieriger und komplizierter Prozess voll politischer Fallen. Alle Details der Innenausstattung wie etwa die Furniere der Täfelung, die Gardinen und Teppiche, ja sogar das Geschirr für den Bankettsaal, mussten Walter Ulbricht mehrfach vorgelegt werden. Seine Änderungswünsche, die ich respektieren und in die Realität umsetzen musste, brachten die ausführenden Betriebe wiederholt zur Verzweiflung. Ein ganz besonderes Problem bildete die Lage des Arbeitszimmers von Otto Gottsche, dem Sekretär des Staatsrats; ursprünglich war es neben dem des Vorsitzenden Ulbricht angeordnet. Der Bau befand sich schon weitgehend im Rohbau, als wir die völlig undurchschaubare Weisung erhielten, den Sekretär buchstäblich in die hinterste Ecke zu verbannen. Der so geschmähte Gottsche hat den veränderten Grundriss nie unterschrieben, aber uns Architekten auf der Baustelle gelegentlich mit den Worten begrüßt: „Da kommen ja die Verbrecher.“ Wegen solcher Auseinandersetzungen habe ich zur Eröffnung Kreislaufprobleme vorgeschützt und mich gedrückt.

Sie haben sich als Architekt gekränkt gefühlt?

Weniger gekränkt als missachtet. Schließlich bin ich auch bei diesem Bauvorhaben meinem Grundsatz treu geblieben: Der Architekt ist der Diener des Nutzers, dem ich für die Zweckmäßigkeit und auch Gestaltung der Ausstattung ein entschiedenes Mitspracherecht zubillige.

Ihnen sind sicher Entwürfe außerhalb politischer Repräsentation lieber gewesen.

Auch diese Projekte hatten ihre Tücken. Im Hotel Stadt Berlin war das Dreimeterraster der Tod jedes großzügigen Innenausbaus in den Hotelzimmern. Schlimmer noch war der Geldmangel, der unter anderem auch dazu führte, dass unser liebstes Teilprojekt, ein großes Nachtkabarett mit der gastronomischen und technischen Ausrüstung etwa des Pariser Lido, wegrationalisiert wurde. Übrig blieb die Zillestube.

Wie hat sich die wirtschaftliche Situation der DDR in Ihrer Arbeit niedergeschlagen?

1976 habe ich der repräsentativen Architektur den Rücken gekehrt, die für mich ihren Höhepunkt in der Umgestaltung des Festsaals des ZK der SED in der ehemaligen Reichsbank hatte. Ich ging zur Bauakademie, wo ich in einer Abteilung für gesellschaftliche Bauten für Ausbau und Ausstattung zuständig war. Der Schwerpunkt lag auf Schulen und Vorschuleinrichtungen. Hauptziel meiner Arbeit war „Unsinn verhindern helfen“. Ich muss gestehen, das ist mir nicht gelungen.

Was waren denn die Anforderungen der Schulen?

Da war ja eine andere große Schwäche im Bauwesen der DDR. Für Neubauten, zumal im Umfeld großer Wohngebiete, gab es wenigstens die erforderliche Baukapazität, nicht aber für die Werterhaltung. Da waren die Schulleiter, wenn sie Klassenräume oder Toiletten wenigstens malermäßig renovieren wollten, weitgehend auf hilfsbereite Eltern angewiesen. Waren ernsthafte Reparaturen fällig, blieben sie meist im Regen stehen.

Welches Projekt hat Sie persönlich am meisten befriedigt?

Das war die Einrichtung des ersten großen Feierabendheims der DDR mit 200 Betten in drei Etagen, das am grünen Stadtrand von Guben 1957/58 entstand. Mit einfachsten Mitteln und der Hilfe der ortsansässigen Handwerker gelang es mir, jedes Zimmer anders und in gewisser Weise auch variabel zu gestalten. Es ging schließlich nicht um Schließfächer, sondern um Wohnräume, in denen sich alte Menschen in den letzten Jahren ihres Lebens wohl fühlen sollten.

Wie haben Sie es geschafft, die Zimmer unterschiedlich auszustatten?

Ich habe aus der Not eine Tugend gemacht. Für die Möbel habe ich ein Anbausystem entwickelt, bei dem alle tragenden Stollen in heller Buche gefertigt wurden, für die Flächen der Türen und Regale aber die unterschiedlichsten Edelholzfurniere aus den Beständen der Gubener Tischlermeister zum Einsatz kamen. Zusammen mit drei oder vier unterschiedlichen Polsterstoffen, Gardinen oder Bodenbelägen ergaben sich unendlich viele Varianten der farbigen Gestaltung.

Wie haben die Nutzer ihre neue Heimat aufgenommen?

Die ersten Bewohner, die bis dahin in alten Wehrmachtsbaracken gehaust hatten, waren mehr als gerührt, als sie diese Räumlichkeiten, zu denen noch Clubräume, Bücherei und ein getäfelter Speisesaal gehörten, in Besitz nehmen konnten. Ein Vierteljahrhundert später habe ich das Heim in dienstlicher Mission erneut besucht. Ich wurde sehr herzlich vom ehemaligen Bürgermeister begrüßt, der nun selbst zu den zufriedenen Heimbewohnern zählte. Die Richtigkeit meiner Zielsetzung, stets eine nutzergerechte Atmosphäre zu schaffen, hat sich gerade in Guben voll bestätigt.