Fast am Break-even

Kühlen mit Sonnenwärme: Die scheinbar widersprüchliche Technik bewährt sich längst und ist reif für die Anwendung. Steigen die Preise fossiler Energien auch nur gering, ist solare Kühlung wirtschaftlich

Das Gebäude unweit des Freiburger Hauptbahnhofs ist der architektonische Super-GAU. Das Dachgeschoss der Industrie- und Handelskammer (IHK) wurde – einem Treibhaus gleich – großflächig verglast. Wer nun meint, die IHK hätte sich der Zucht tropischer Pflanzen verschrieben, der irrt – der Glaspalast wurde im Jahre 1992 als repräsentativer Versammlungsraum entworfen.

An konzentrierte Konferenzen war darin im heißen Freiburger Sommer freilich nicht zu denken. Die Temperaturen lagen häufig deutlich über 30 Grad. Über einige Jahre hinweg ertrugen die Mitarbeiter die Sauna. Dann war klar: So kann es nicht weitergehen.

Ihren Retter fand die IHK vor Ort. Das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) erkannte in dem Architektur-Flop eine Herausforderung: Die Wissenschaftler traten an, in diesem so blauäugig konstruierten Bau durch solare Kühlung ein angenehmes Raumklima zu schaffen.

Und sie waren erfolgreich. „Mit Bravour“ habe die Anlage bisher alle Hitzeperioden bestanden, konnte ISE-Wissenschaftler Volker Kallwellis kürzlich verkünden. Lediglich an zwei Tagen sei im Sitzungsraum die Temperatur noch über 25 Grad gestiegen – ein Ergebnis, das noch besser ist als zuvor simuliert. Der Erfolg ist deswegen beachtlich, weil die Anlage solarautark arbeitet, also ohne zusätzliche Klimatisierung. Für die beteiligten Wissenschaftler ist seither klar: Das Prinzip ist reif für die breite Anwendung.

Ausführliche Erläuterungen benötigt die Technik gleichwohl. Denn die Tatsache, dass sich mit Solarenergie nicht nur heizen, sondern auch kühlen lässt, erscheint manchem widersprüchlich. Dass es theoretisch geht, zeigt freilich schon ein Kühlschrank, sobald er mit Solarstrom betrieben wird. Doch da der Umweg über die Stromerzeugung immer verlustreich ist, hat man längst rein thermische Verfahren entwickelt – sie beruhen auf der so genannten Sorption.

Bei der IHK in Freiburg setzte das ISE auf die „offene Sorption“: Dabei wird die warme Außenluft angesaugt und anschließend mit Hilfe von Silikagel getrocknet, jenem bewährten Siliziumdioxid-Granulat, das man oft in kleinen Tüten in den Verpackungen feuchteempfindlicher Geräte findet. Die trockene Luft wird dann wieder befeuchtet, wobei Verdunstungskälte entsteht. Die so gekühlte Luft wird in die Räume geblasen. Das feuchte Silikagel muss nun regeneriert werden um für weitere Kühlzyklen nutzbar zu sein. An dieser Stelle tritt die Sonnenwärme in Aktion: Ein solar erhitzter Luftstrom trocknet das mit Wasser voll gesogene Substrat – der Kreislauf kann von vorn beginnen.

Neben den klassischen Sonnenkollektoren können für die Trocknung – wie in Freiburg geschehen – auch Solarluftkollektoren eingesetzt werden. Darin wird die Luft ohne Umweg über die Wassererwärmung direkt aufgeheizt. 100 Quadratmeter Kollektoren reichen aus, um pro Stunde 10.000 Kubikmeter Luft auf angenehme Temperaturen zu kühlen.

Die Anlage der IHK ist nicht die einzige in Freiburg. Ein weiteres Pilotprojekt läuft auf dem Dach des südbadischen Universitätsklinikums, wo eine Sorptionskältemaschine durch die Wärme aus 90 Quadratmeter Solarkollektoren gespeist wird. Die Ökobilanz des Systems ist bestechend: Statt einer elektrischen Leistung von 25 Kilowatt, wie sie für eine konventionelle Kühlanlage dieser Dimension notwendig gewesen wäre, benötigt man dank Solarenergie nur noch 400 Watt für die Pumpen. Damit spart die Klinik jährlich 150.000 Kilowattstunden Strom und somit mehr als 15.000 Euro.

Das Faszinierende an der solaren Kühlung: Man benötigt nicht einmal einen Energiespeicher. Denn bekanntlich geht der Bedarf an Kühlenergie einher mit dem Energieangebot der Sonne. Und dennoch ist die absolute Zahl der Projekte solarer Klimatisierung noch gering: In Deutschland gebe es derzeit noch keine zwei Dutzend solarbetriebene Klimaanlagen, weiß Ursula Eicker, Professorin an der FH Stuttgart. Trotzdem sei die Technik für Großanlagen „inzwischen gut eingeführt“. So wurde zum Beispiel gerade beim Landesamt für Umweltschutz in Augsburg eine Anlage mit 250 Kilowatt Kälteleistung errichtet – eine der größten bisher. Größe ist ohnehin nicht das Problem – im Gegenteil. Vielmehr weisen kleine Anlagen noch Defizite auf: Im Bereich bis 35 Kilowatt Kälteleistung, sagt Eicker, seien „bisher nur Prototyperfahrungen vorhanden“.

Weitere Entwicklungsarbeit auf diesem Gebiet dürfte sich auch ökonomisch rentieren. Das weiß auch Dietrich Schneider von der Stuttgarter Ingenieurgesellschaft Schneider&Partner, nachdem er anhand eines realisierten Projektes im baden-württembergischen Althengstett eine solare Kühlung mit 60 Kilowatt akribisch durchgerechnet hat. Sein Fazit: „Es fehlt nicht viel bis zum Break-even.“ Eine Förderung in Höhe von 6,5 Prozent der Investitionssumme bringt die solare Kühlung auf gleiches Preisniveau wie eine konventionelle Klimaanlage.

Und dieser Wert wurde unter der Annahme konstanter Energiepreise berechnet. Das heißt: Nur noch ein geringer Preisanstieg der fossilen Energien – und die solare Kühlung ist wirtschaftlich. BERNWARD JANZINAG