DER WESTEN MISSACHTET DIE WAHREN URSACHEN DES ISLAMISMUS
: Freibrief für Marokkos Herrscher

Marokkos König Mohamed VI. lässt die Islamisten verfolgen. Sein Innenminister verweist darauf, dass der Fundamentalismus ein internationales Problem sei. Diese Botschaft kommt kurz vor dem Jahrestag des 11. September gut an. „Islamisten = Terroristen, hartes Durchgreifen ist nötig.“ Seit den Attentaten auf World Trade Center und Pentagon hat jeder einen Freibrief, der Islamisten bekämpft. Das gilt auch im Maghreb.

Ob Marokko, Tunesien oder Algerien, in den drei Maghrebstaaten werden beim „Kampf gegen religiöse Fanatiker“ auch die verfolgt, die Gewalt ablehnen. Die Frage nach demokratischen Rechten ist nebensächlich. Bis auf einige Menschenrechtsgruppen scheint sich niemand daran zu stören. Und die Frage, woher der Islamismus kommt, ist auch nicht mehr opportun. Dabei müsste gerade sie gestellt werden, um fundamentalistischem Terror vorzubeugen.

Die meisten Menschen, die mit islamistischen Parteien sympathisieren, sind keine Radikalen. Sie müssen mit ansehen, wie diejenigen, die ihnen Modernität predigen, oft nur eines im Sinn haben: sich selbst zu bereichern und ihre Macht abzusichern. In Marokko und auch in Algerien sind die Auslandsschulden ebenso hoch wie das Auslandsvermögen des Königshauses und der hohen Funktionäre aus Militär- und Staatsapparat. Die pseudodemokratischen Systeme sind im Maghreb – und in der restlichen arabischen Welt – so gestaltet, dass ein wirklicher Wechsel nicht stattfinden kann. Der Westen deckt dies. Denn mit korrupten Herrschaftscliquen lassen sich gute Geschäfte machen.

Ein Großteil der Bevölkerung aber lebt in Armut. Wenn in Marokko selbst ein ehemaliger sozialistischer Regimegegner mit seiner „Regierung des demokratischen Wechsels“ versagt, was bleibt dann noch? Die Islamisten haben eine Antwort: die Rückbesinnung auf die Tradition. Da sie gleichzeitig die Einzigen sind, die versuchen, vor Ort zu helfen, wirkt ihre Propaganda. Eine einfache Kette von Ursachen und Wirkung. Nur nach dem 11. September will dies kaum noch jemand nachvollziehen.

REINER WANDLER